Während im vergangenen Jahr deutschlandweit 1800 Mal ein DB-Angestellter von einem Fahrgast angegriffen wurde (ein Plus von 20 Prozent), waren es in Niedersachsen und Bremen 121 registrierte Fälle. Das sind 51 Prozent mehr als im Vergleichsjahr 2014. Im Jahr 2013 waren es sogar nur 50 Fälle. Die Zahlen stammen aus der in dieser Woche veröffentlichten Sicherheitsbilanz von Bahn und Bundespolizei.
„Die Verrohung der Gesellschaft, der Mangel an Respekt vor Uniformträgern nimmt dramatisch zu“, sagte DB-Sicherheitschef Hans-Hilmar Rischke. Es sei eine „Zunahme von Aggression“ festzustellen, heißt es im Bericht der Bahn. Dabei ist die Zahl der Körperverletzungen an Bahnhöfen zurückgegangen – deutschlandweit um acht, im Norden um vier Prozent auf 2800 Fälle.
Massenveranstaltungen haben größtes Gewaltpotential
Das größte Gewaltpotenzial bergen laut Bahn-Statistik jegliche Massenveranstaltungen: Fußballspiele, Volksfeste oder nächtliche Heimfahrten alkoholisierter Partygruppen. Häufig kracht es auch zwischen Fahrgast und Sicherheitspersonal, wenn ein Schwarzfahrer erwischt wird und den Zug verlassen soll. Erst am 2. März ist auf der Strecke zwischen Bremen und Hannover ein Fahrgast ohne gültigen Fahrschein ausgerastet: Er schubste, schlug und trat den Kontrolleur, brach ihm sogar die Nase. Erst ein anderer Fahrgast, der den Angreifer mit Pfefferspray besprühte, konnte dem 33 Jahre alten Bahnangestellten zu Hilfe eilen.
Wieso Angriffe auf Bahn-Mitarbeiter statistisch gesehen im Norden überproportional stiegen, konnte die Bahn auf Nachfrage nicht erläutern. Auch die Frage, ob die Mitarbeiter kürzlich zu Anzeigen von Angriffen motiviert wurden und somit nur mehr Taten gemeldet wurden, wollte die Bahn nicht beantworten. Nur jeder vierte Angriff wird laut DB überhaupt mitgeteilt. Doch nicht nur bei der Deutschen Bahn kommt es zu Angriffen. „Wir können feststellen, dass die Hemmschwelle zur verbalen Aggressionen der Fahrgäste untereinander, aber auch gegenüber unserem Personal sinkt“, teilte die Nordwestbahn auf Nachfrage mit. Sprachbarrieren seien oft der Grund, dass Mitarbeiter und Fahrgäste sich unwohl fühlten. Doch es kommt auch zu tätlichen Übergriffen: Im Sommer ist ein Mitarbeiter der Nordwestbahn von einer Gruppe mehrfach bespuckt worden.
In Metronom-Zügen zwischen Bremen und Hamburg passiert ähnliches. Wie viele Angriffe es 2015 gab, dazu macht das Unternehmen keine Angabe. „Die Zahl der Übergriffe insgesamt ist zwar nicht gestiegen“, sagt Sprecher Björn Pamperin. „Aber die Zahl der schweren Gewalttaten ist eindeutig mehr geworden.“ Wenn es zu Gewalt kommt, dann ist diese also immer öfter extrem. Pamperin nennt zwei Beispiele: Erst kürzlich habe ein Fahrgast einen Gullideckel auf einen Mitarbeiter geworfen. Ein anderer schleuderte einen Pflasterstein.
Aggression und Alkohol
Ein großes Problem an Bahnhöfen und Zügen ist und bleibt Alkohol. In den Metronom-Zügen gilt daher seit Herbst 2009 ein absolutes Alkoholverbot. Der 18 Jahre alte Marvin Damaschun, der regelmäßig mit dem Zug von Achim nach Bremen fährt, fühlt sich unsicher, wenn Betrunkene mit im Abteil sind. Er sagt: „Wenn Besoffene mitfahren, wird rumgeschrien oder auch mal mit Flaschen geworfen.“ Wenn Werder-Spiele anstehen, versuche er deshalb, Zugfahrten zu vermeiden. Der Hauptbahnhof in Hannover ist als einer der größten Kreuzungsbahnhöfe in Norddeutschland besonders von reisenden Hooligangruppen betroffen. Das sagt der Sprecher der Bundespolizeiinspektion Hannover, Martin Ackert. „Fast jedes Wochenende steigen hier Fußballgruppen um.“
Die Deutsche Bahn will jetzt noch härter gegen die Randalierer vorgehen. Ein Alkoholverbot in Zügen soll es zwar nicht geben – damit könnte es sich die Bahn wohl mit vielen friedliebenden Reisenden verscherzen, die gern einen Sekt im Zug genießen. Allerdings sollen Hausverbote und Fahrverbote in Zukunft schon am Ort der Straftat ausgesprochen werden. Zudem sollen die Einsatzpläne angepasst werden, sodass abends und am Wochenende mehr Personal in den Zügen mitfährt. Mitarbeiter sollen auch noch mehr Schulungen zum Thema Deeskalation erhalten.
In Bremen soll im Herbst zudem neue Videotechnik installiert werden. In Hannover ist dies ebenfalls in Planung, allerdings steht der Termin noch nicht fest. „Unsere Kameras sind völlig veraltet“, berichtete der Sprecher der Bundespolizeiinspektion Hannover, Martin Ackert. Die Bildqualität der rund 100 Kameras sei sehr schlecht. „Die wurden damals zur Expo im Jahr 2000 angebracht.“ Bis 2023 sollen an Bahnhöfen in ganz Deutschland neue Kameras installiert werden. Der Etat dazu ist erst vor einigen Monaten von 25 auf 85 Millionen Euro erhöht worden.
Vandalismus zurückgegangen
Trotz der Angriffe auf die Mitarbeiter: Der Grundtenor des Sicherheitsreports ist positiv. Beschmierungen mit Graffiti, aber auch der Vandalismus seien zurückgegangen. Und: Die Sicherheit in den Zügen und an den Bahnhöfen habe sich insgesamt verbessert. Deutschlandweit habe es 2015 drei Prozent weniger Straftaten an Bahnhöfen gegeben als im Vorjahr. In Bremen liege sie mit 530 Straftaten ebenfalls „leicht unter dem Vorjahresniveau“. In Niedersachsen sei die Kriminalität an Bahnhöfen und in Zügen sogar um 22 Prozent gesunken. Bahnhöfe und Züge sind laut DB sicherer als andere öffentliche Orte, weil die Polizei dort viel Präsenz zeige. Dieses Gefühl teilen viele Reisende am Bremer Hauptbahnhof.
„Ich fühle mich hier sehr sicher“, sagte Frank Kuska aus Ganderkesee. Der 56-Jährige hat noch nie Gewalt in einem Zug oder am Bahnhof erlebt. Und während er dies sagt, schlendern drei uniformierte Bundespolizisten an ihm vorbei, die sich in alle Richtungen umsehen. Renate Grunemann aus Weyhe fühlt sich ebenfalls sehr sicher am Bahnhof – aber ihre Handtasche halte sie natürlich immer fest, sagt sie. Dietlinde Kupa, die seit mehr als sechs Jahren bei der Bahnhofsmission arbeitet und somit viele Stunden am Bahnhof verbringt, findet, dass die Sicherheitslage gut ist: „Seit den Vorfällen an Silvester in Köln sieht man sogar noch mehr Polizisten.“
Fazit: Alkohol ist ein schlechter Zugbegleiter.
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