Samstag, 30. April 2016

Neue Zürcher Zeitung: Wo die Preise für den Bordeaux gemacht werden: 2015 gilt als sehr gutes Jahr für Bordeaux-Weine, darin sind sich Produzenten, Händlern, Importeuren und Kritikern einig

Der weltbekannte Weinexperte Michel Rolland ist voll des Lobes über diesen «ganz grossen Jahrgang», der «sehr weiche Tannine, grosse Dichte und die schöne Länge sowie die Abgerundetheit und Sonnigkeit von 2009» habe. Olivier Bernard, Chef der Domaine de Chevalier und Präsident der Union des grands crus, der Vereinigung der Spitzengüter, spricht von sehr grosser Eleganz. Bernard und Ulrich Sautter, Chefredakteur Wein beim Lifestyle-Magazin «Falstaff» und Herausgeber des Branchen-Newsletters «Weinverstand Brief», sind sich einig, dass 2015 ein guter bis sehr guter, aber im Allgemeinen nicht ganz grosser Jahrgang sei. Anders als Sautter, der an der Lagerfähigkeit eines Teils der schon jetzt häufig ungewöhnlich weichen und samtigen Weine zweifelt, ist Bernard diesbezüglich optimistisch.

Fachwelt an den «Primeurs»

Die Fachwelt hat bei den eben zu Ende gegangenen «Primeurs»-Verkostungen die noch sehr jungen Weine getestet. Etwa 6000 Experten aus der ganzen Welt kommen dazu jedes Jahr Anfang April in der Region Bordeaux zusammen. Überall machen kleine Hinweisschilder auf die Verkostungen aufmerksam. In den Weingütern selbst wandern die Tester von Tisch zu Tisch, lassen sich etwas einschenken, probieren und spucken dann in die bereitgestellten Fässer aus. Obwohl der junge Wein längst nicht trinkfähig ist, erkennen sie schon jetzt sein künftiges Potenzial.

Die Primeurs seien die Fashion Week von Bordeaux, sagt Philippe Bongrand, der bei Europas grösstem Weinproduzenten, der Castel-Gruppe, für deren höherpreisige Châteaux-Weine verantwortlich ist. Das System ist einzigartig in der Welt. Die Union des grands crus, die Vertretung von 119 Produzenten, organisiert es seit Jahrzehnten. Die ganze Branche wartet gespannt auf die Analysen der Experten. Denn deren Urteile bestimmen zu einem grossen Teil die Preise, die die Weingüter dann festlegen. Die zugelassenen Händler haben Exklusivverträge mit den Produzenten und können dann direkt bestellen. Anschliessend verkaufen sie relativ schnell an Detailhändler bzw. Endkonsumenten weiter, die jedoch 18 Monate bis zur Auslieferung warten müssen. Nach Lagerung, Verschnitt und Abfüllung werden die Weine frühestens dann ausgeliefert. Wer früh kauft, profitiert davon in der Regel, denn häufig sind die edlen Tropfen später teurer. Für die Produzenten ist das System interessant, weil sie schnell Einnahmen haben.

Zwar nehmen laut Bernard nur rund 300 Weingüter, 2% bis 3% der gesamten Produktion der Region, teil. Doch die gesamte Branche profitiert von dem System. In diesem Jahr gilt das vielleicht noch mehr, denn auch günstigere Weine werden nach Ansicht Rollands häufig eine aussergewöhnliche Qualität haben.

Wichtiger Export

Sautter ist in diesem Jahr, in dem «Weinpapst» Robert Parker erstmals nicht gekommen ist, besonders gespannt auf die Preisfindung. Nach ersten Indikationen zeichnen sich Preiserhöhungen von 10% bis 13% ab. Das Thema ist sensibel. Denn nach den Spitzenjahrgängen 2009 und 2010 war das Preisniveau regelrecht explodiert. Gier und Spekulation sorgten dafür, dass auch die qualitativ deutlich schlechteren Jahrgänge 2011 bis 2014 kaum billiger angeboten wurden. Vor allem Amerikaner und dann auch die Chinesen, die zudem unter der Wirtschaftskrise sowie dem Kampf gegen die Korruption litten, stiegen aus. Es passierte, was eigentlich nicht passieren sollte: Der Handel machte in den vergangenen Jahren mehrmals Verluste, weil die Qualität nicht stimmte und sie auf den überteuert angebotenen Weinen sitzenblieben. Viele verkauften mit Verlust oder haben jetzt grosse und teure Lagerbestände.  Das Interesse bei den Verkostungen war in diesem Jahr wieder gross. In seinen zwölf Jahren bei Parker habe es noch nie so viele Besucher bei den Primeurs gegeben wie dieses Mal, sagt Thomas Duroux, Generaldirektor von Château Palmer, einem Troisième Grand Cru Classé, das jedoch so hoch gehandelt wird wie die Premiers Crus. Laut Bernard sind vor allem Briten und Amerikaner, Asiaten, überraschenderweise aber auch Russen gekommen. Insgesamt seien es aber nicht mehr als in den Vorjahren, weil man bei den Einladungen selektiver vorgehe. Ausländische Käufer haben für Bordeaux überragende Bedeutung. 80% der Spitzen-Bordeaux gehen in den Export. Bernard und Duroux sind optimistisch, dass es zwar Preiserhöhungen, aber keine Übertreibungen gibt.

Unterschiedliche Strategien

Sollten die Weingüter die Preise zu sehr erhöhen, könnte das in den vergangenen Jahren in die Kritik geratene System der Primeurs in Gefahr geraten, fürchtet das bekannte britische Weinmagazin Decanter. Das berühmte Château Latour in Pauillac, eines der ganz wenigen Premier Cru Classé, hat sich beispielsweise aus den Primeurs zurückgezogen. Château Palmer will nur die Hälfte der Produktion bei den Primeurs verkaufen. Die andere Hälfte bleibe in den Kellern liegen und werde angeboten, wenn die Weine die nötige Reife hätten. So könnten die Weinliebhaber sie in trinkfähigem Stadium erwerben und müssten sie nicht erst im Keller reifen lassen, sagt Duroux.

Bernard will das System aber nicht in Gefahr sehen. Das seien Ausnahmen. Spekulative Übertreibungen habe es allenfalls bei den 30 absoluten Spitzengütern gegeben. Er verkaufe seinen gesamten Bestand bei den Primeurs. Unabhängig davon können sich Bordeaux-Liebhaber darüber freuen, dass auch niedrigere Preislagen um die 10 bis 20 Euro hervorragende Qualität versprechen. Sautter glaubt, dass die Weine schon in sehr jungen Jahren sehr gut trinkbar sein werden.


Zusatz:
Das Imperium hat noch Durst
Selbst in der Heimat Frankreich ist die Castel-Gruppe, Europas grösster Weinproduzent, kaum bekannt
ske. Bordeaux  Der Anspruch ist nicht unbescheiden für jemanden, den selbst in Frankreich kaum einer kennt. «Wir sind die Botschafter des französischen Weins und der französischen Lebensart», sagt Pierre Castel. Er ist Patron und Herrscher über Europas grösstes Weinimperium, die Groupe Castel, die fast ausschliesslich französische Weine verkauft.
Die Lebensart ist zunächst einmal erstaunlich nüchtern. Statt aus sanften Weinbergen, romantischen Schlössern oder schummrigen Weinkellern besteht sie aus einer sehr grossen Lagerhalle im Gewerbegebiet von Blanquefort, einem Vorort von Bordeaux. 50 000 riesige Fässer aus amerikanischer Eiche füllen einen Raum von 8800 m², sechsstöckig aufeinandergestapelt. Es riecht angenehm nach Holz und Wein. Wir stehen im grössten Weinkeller Europas. Der Lagerraum ist halb in die Erde versenkt. Auf dem Dach liegen 3000 t Erde, die mit Reben bepflanzt sind. Das hilft, die Temperatur sommers wie winters fast identisch zu halten. Die Luftfeuchtigkeit ist genau berechnet. In dem abgedunkelten, bunkerähnlichen Raum reifen vor allem die Weine für den Baron de Lestac heran, mindestens sechs Monate. Danach werden sie an Kunden in aller Welt ausgeliefert. Der Baron de Lestac ist Frankreichs meistverkaufter Bordeaux.

Ein sogenannter Markenwein  kein grosser Wein wie Mouton-Rothschild, wo die Flasche auch 1000 EUR und mehr kosten kann , aber ein Tropfen, der strengen Qualitätskriterien genügt und von selbständigen Winzern stammt, die ein genaues Lastenheft erfüllen müssen. Im Handel kostet er um die 6 bis 7 EUR.

Ein Wein, den sich fast jeder leisten kann. So wie die meisten anderen Rebsäfte, die Castel im Sortiment hat. Bereits für 2 bis 3 EUR ist der Roche Mazet, der aus Weinen vor allem der südfranzösischen Region Languedoc-Roussillon entsteht, zu haben. Roche Mazet, Vieux Papes und La Villageoise sind die drei meistverkauften französischen Weine. Mit dem Baron de Lestac und dem Malesan ist Castel im mittleren Preisbereich ab etwa 5 EUR vertreten. Und mit den nach und nach erworbenen, überwiegend höherpreisigen eigenen Weingütern um Bordeaux, in der Provence, im Languedoc und an der Loire kann Castel auch das Preissegment bis zu maximal 35 EUR abdecken. Mixgetränke auf Weinbasis, etwa Roséweine, die mit Sirups verschiedener Geschmacksrichtungen und Wasser gemischt und als leichte Apéritifs verkauft werden, sowie seit kurzem Schaumweine, runden das Sortiment ab.

Da rümpft man auf manchen der renommierten Weingüter, die teilweise seit Jahrhunderten in den Händen einer Familie sind, bisweilen die Nase. Das hat Firmenpatron Pierre, der mit fast 90 Jahren immer noch das letzte Wort in dem Familienunternehmen hat, aber noch nie gestört. Der Sohn armer spanischer Einwanderer begann Ende der vierziger Jahre mit der Verschiffung billiger Tafelweine nach Afrika. Der Handel mit Weinen, längst auch mit den Erzeugnissen weltbekannter Güter, stellt auch heute ein wichtiges und vor allem ertragsstarkes Standbein der Gruppe dar.

Castel ist Produzent, Händler, Erzeuger, Lieferant und bedient mit der grossen französischen Detailhandelskette Nicolas auch die Endkonsumenten. Die Weine der Gruppe werden in mehreren grossen französischen Weinregionen produziert, wobei das Unternehmen mit rund 2500 selbständigen Produzenten und Kooperativen zusammenarbeitet, die Trauben oder Grundweine liefern. 640 Mio. Flaschen Wein werden jedes Jahr verkauft, etwa 80% davon in Frankreich, der Rest in Afrika und China, aber auch in Grossbritannien, in den Niederlanden, in Belgien, in Deutschland und in der Schweiz. Den Umsatz für das Weingeschäft gibt die Gruppe mit 1,1 Mrd. EUR an, den Gewinn mit 30 Mio. EUR.
Noch grösser und ertragsstärker ist die zweite Geschäftssparte mit rund 50 Brauereien (Ausstoss 31,7 Mio. hl) und der Abfüllung sowie dem Verkauf von Softdrinks in Afrika. Castel ist der zweitgrösste Bierbrauer des Kontinents und weltweit die Nummer zehn. Der Gesamtumsatz der Gruppe mit 28 000 Mitarbeitern, davon 2500 in der Weinsparte, liegt bei 2,6 Mrd. EUR.

Die operative Führung hat längst die zweite Generation übernommen. Die Neffen Alain, Philippe und Jean-Bernard leiten die Weinsparte. Auch die dritte Generation hat schon auf verschiedenen Ebenen Verantwortung in dem Imperium übernommen. Mit einem Privatvermögen von geschätzten 7,5 Mrd. EUR gehört die recht zurückgezogen lebende Familie heute zu den reichsten Frankreichs.

 Das Familienunternehmen hat Durst auf mehr. «Wenn wir nicht wachsen, sterben wir», sagt Pierre Castel, der überwiegend im steuerlich attraktiven Genf lebt. Er setzt nun auf Wachstum im höherpreisigen Segment. 19 eigene Châteaux mit 1400 ha hat sich die Castel-Gruppe seit 1957 in Frankreich zugelegt, weitere 1900 ha in Marokko, Tunesien, Äthiopien und China, für den lokalen Bedarf. Zusammen mit dem Partner Suntory hat Castel ausserdem Beychevelle erworben, eines der berühmtesten Weingüter der Region um Bordeaux. Auch das 2008 gekaufte Montlabert bei St. Emilion soll in den Olymp aufsteigen. Es liegt in unmittelbarer Sichtweite von Cheval Blanc, das Frankreichs reichstem Privatmann, dem Chef und Grossaktionär des Luxusgüterkonzerns LVMH, Bernard Arnault, gehört. Obwohl mit Cheval Blanc, einem Premier Grand Cru classé A, und Figeac zwei der exklusivsten und teuersten Weine Frankreichs nur einige hundert Meter entfernt sind, ist Montlabert bis dato nicht einmal ein Grand Cru. Das soll sich unter Leitung von Ludovic Herault und seinem Bruder Maxime ändern. Sie setzten alles daran, bei der nächsten Klassifizierung 2022 zu den Gütern zu zählen, die aufgewertet werden.
Alain Castel setzt ausserdem auf die Internationalisierung, um die starke Abhängigkeit vom französischen Markt zu reduzieren. Der Weinkonsum in Frankreich geht seit Jahren zurück und ist nur noch halb so hoch wie in den sechziger Jahren  mit weiter fallender Tendenz. Angesichts zunehmender Unsicherheiten in China und in vielen Schwellenländern setzt er nun vor allem auf Grossbritannien, Deutschland und die Schweiz. Dort bestehe Nachholbedarf, sagt er. Bei der Prowein in Düsseldorf, einer der weltweit grössten Wein- und Spirituosenmessen, präsentierte die Gruppe gerade unter dem Markennamen Castel auch die höherpreisigen Montlabert für den deutschen Markt.

 Die Schweiz ist für Alain vor allem ein Markt für hochpreisige Weine. Bis zum Jahresende will die Gruppe zehn Geschäfte der konzerneigenen Detailhandelskette Nicolas eröffnen, zunächst ausschliesslich im Raum Genf und Lausanne. Damit muss für den Botschafter des französischen Weins in der Welt aber noch lange nicht Schluss sein.
Die zehn grössten Weinkonzerne
Verkäufe weltweit in Mio. Neun-Liter-Behältnissen 2012

1. E&J Gallo Winery, USA81,5
2. Constellation Brands, USA64,2
3. The Wine Group, USA62
4. Castel Frères, Frankreich53,3
5. Pernod Ricard, Frankreich45
6. J. Garcia Carrion SA, Spanien39,2
7. Grands Chais de France, Frankreich36
8. Grupo Penaflor, Argentinien32,3
9. Treasury Wine, Australien32
10. Concha y Toro, Chile30,2
Fazit: Der frühe Weinkäufer trinkt am günstigsten.

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