Samstag, 30. April 2016

Neue Zürcher Zeitung: Das Lachen der Weine am Zürichsee: Die Familie Schwarzenbach in Obermeilen arbeitet lieber mit anderen Winzern zusammen als gegen sie

In einem der renommiertesten Weinbaubetriebe der Region ist nun die fünfte Generation am Ruder: Schwarzenbach prägte in Meilen den Aufschwung des regionalen Weins am Zürichsee mit und profitiert von ihm.
Am alten Nussbaumtisch in der Stube des 277-jährigen Weinbauernhauses Reblaube herrscht eine aufgeräumte Stimmung: Im Keller lagert ein vielversprechender Jahrgang 2015, der Betrieb blüht, der Branche geht's gut. Zwei der fünf Generationen, welche die Geschichte der gut hundertjährigen Familienfirma in Obermeilen geprägt haben, sind in der Tischrunde vertreten: durch Hermann und Cécile Schwarzenbach, ihren Sohn Alain und dessen Partnerin Marilen Muff. Letztere zwei haben heuer das Ruder übernommen. Nun sind die Eltern angestellt, zu je 50 Prozent. Läuft jetzt also ihre Probezeit? Das erörtert die Runde im Scherz. «Seit Jahrzehnten habe ich erstmals wieder einen Lohnausweis», sagt der Vater lachend und fügt ernsthafter an: «Die Nachfolge wird oft zu spät geregelt.» Er selbst hatte vor und mit dreissig Jahren seinen Vater abgelöst. Nun sah er, 60-jährig, den Zeitpunkt gekommen, in die zweite Reihe zu treten.

Regionaler Wein im Aufwind

Es ist eine solide Basis, auf der die Jungen aufbauen können, in vielversprechendem Umfeld: Zum Aufschwung hiesiger Weine seit der Jahrtausendwende hat die Terroir-Idee ebenso beigetragen wie verstärktes Qualitätsbewusstsein der Winzer. Manch berechtigter Vorbehalt von einst  etwa als der Blauburgunder-Anbau noch auf Quantität getrimmt war  hat sich verflüchtigt. «Das Image der Weine aus der Region und ihr Bekanntheitsgrad haben sich in den letzten zehn Jahren enorm verbessert», sagt Alain Schwarzenbach. Das zeige sich auch daran, wie viele Wirte nun Tropfen aus der Region führten, merkt die Mutter an, die in den letzten Jahren das immer wichtiger gewordene Marketing verantwortet hat und weiterhin die Buchhaltung führt.

Dass Weine mit tieferem Alkoholgehalt populärer geworden seien, helfe der hiesigen Branche, sagt sie und bestätigt, dass gerade auch deutsche Gastronomen in der Region auf Wein von hier setzten. Und den Hofverkauf nutzten immer mehr Expats, die beim Vorbeifahren die Reben sähen. Vielleicht hilft das, die Schweiz im Ausland als Weinland bekannter zu machen? Heute werden keine zwei Prozent der Produktion exportiert. «Langsam kommen die Ausländer aber auf den Geschmack», sagt der Sohn. So hätten Liebhaber teurer Pendants aus dem Burgund gemerkt, welch gute Pinot noirs es hier gebe.

Aber der Fokus liegt weiter auf dem einheimischen Markt. Wenngleich der Konsum hier in den letzten zwanzig Jahren fortlaufend gesunken ist, gilt die Schweiz als Land von Weintrinkern und liegt, pro Kopf gemessen, weltweit in den Top Ten. Wie bei Köchen und Filmern wächst bei Winzern eine Generation heran, welche die Marke «Schweiz» noch mehr gemeinsam stärken will. «Hierzulande wird doppelt so viel Wein getrunken wie produziert», sagt Alain Schwarzenbach. «Da geht es vor allem darum, die allgemeine Qualität zu steigern, so dass wir weniger importieren müssen. Ein Ziel ist etwa, dass in jeder Flasche mit dem Label ‹AOC Zürichsee› ein Topwein ist.» So sehe er hiesige Branchenkollegen als Partner. Mit Winzern vom See haben er und seine Partnerin die «Keller-WG» gegründet, er wirkt auch in der Vereinigung Junge Schweiz  neue Winzer mit, die sich monatlich trifft: «Da nimmt jeder Weine mit, bei denen etwas schief- oder besonders gut gelaufen ist, und wir erörtern, warum.»

Der Vater bestärkt den Sohn in der Haltung und ergänzt als Mitglied des Verbunds Mémoire des Vins Suisses: «Wir müssen zuerst als Schweiz auftreten, dann als Kanton und schliesslich als Region.» Das ganze Zürichseegebiet verfüge über 170 Hektaren Rebland  im Ausland sei nicht selten ein einziger Betrieb so gross. Da liege es auf der Hand, mit- statt gegeneinander zu arbeiten. Ein Beispiel dafür liefert er mit dem R3, einem Räuschling, den er mit zwei anderen Weinbauern des Seeufers keltert.

Es begann mit Traubensaft

Angefangen hat alles mit Alains Ururgrossvater Hermann Schwarzenbach, Direktor der Meilener Fabrik für alkoholfreie Weine, also einer Produktion von Traubensäften. Er kaufte 1912 für den gleichnamigen Sohn mit Winzerausbildung das Weinbauernhaus Reblaube in Obermeilen mit Vieh-, Trauben- und Obstzucht. Vor sechzig Jahren übernahm Hermann III. den Hof, intensivierte den Weinbau und gab die Nutztierhaltung auf. 1986 brach die Zeit Hermanns IV. an, aufgrund seines Körperbaus «Stikel» gerufen, wie der Stecken, an dem Reben hochwachsen. Er hatte die Winzerlehre als Teenager im Welschland absolviert, was ihm etwas Distanz gewährte zum konservativen Elternhaus, und dann in Australien Erfahrungen gesammelt. In der Heimat pröbelte er später mit neuen Sorten herum, als deren Freigabe noch längst nicht amtlich war, experimentierte als einer der Ersten in der Deutschschweiz mit Barriques  und bescherte dem Betrieb viel Erfolg.

Mit Alain endet nun zwar die Reihe der «Hermanns», nicht aber die Passion für Wein. Er wirkt seit dreizehn Jahren in der Firma und gilt als Vollblutwinzer. Sich von der Berufswahl der Eltern abzugrenzen, war für ihn nie ein Thema: Als Bub war er lieber bei der Wümmet dabei als im Kindergarten, die Schule hätte er lieber ausgelassen, um gleich Weinbauer zu werden. Das wurde er dann doch erst mit Abschluss der Lehre, wie auch sein jüngerer Bruder Roger. Dieser übernahm vor vier Jahren ein Weingut in Stäfa. Wenige Monate später erschütterte ein Schicksalsschlag die Familie: Im August 2012 verunfallte Roger Schwarzenbach tödlich in seinem Rebberg.

Die Arbeitsaufteilung zwischen Vater Hermann und Sohn Alain ist eingespielt: Ersterer kümmert sich eher um weisse Tropfen, Letzterer um rote. Sein «Meilener Pinot noir Sélection» ist das famose Flaggschiff des Hauses und trägt einen Teil dazu bei, dass bei internationalen Prämierungen Medaillen im Akkord gesammelt werden. Es ist mit 28 Franken der teuerste der 25 Tropfen, die der Betrieb aus einem Dutzend Rebsorten keltert. Der Renner in der Palette, die hauptsächlich im Direktverkauf abgesetzt wird, ist aber der Räuschling (den man gut länger lagern kann, er gewinnt sogar dabei). Kein anderer in der Region keltert so viel davon. Das ist dem Vater zu verdanken, der zur Renaissance dieser Traube massgeblich beitrug. «Wenn wir schon eine autochthone Sorte am Zürichsee haben, wäre es dumm, sie nicht zu nutzen», sagt er. Mit heutigen Anbaumethoden habe man auch die Ernteschwankungen  nasskalte Blütezeit kann den Ertrag dieser Rebsorte vernichten  meist im Griff.

Mit Rausch übrigens soll der Name des Räuschlings laut Herman IV. nichts zu tun haben: «Vielmehr rauschen seine dicken Blätter so schön im Wind.» Nun, beschwipst kann er auch machen, wenn man genug trinkt. Gar nichts zu befürchten hat man diesbezüglich vom angebotenen Verjus. Das ist ein säuerliches Nebenprodukt aus unreifen Trauben, das als Zutat in der Küche vielfältig einsetzbar ist: Sei es in Salatsaucen oder als dezenter Zitronensaft-Ersatz in Cocktails (wie etwa die Zürcher «Tales»-Bar in ihren feinen Neukreationen beweist).

Ein Geschwister des Räuschlings ist der Riesling. Und ein Rheinriesling, leicht und mit etwas Restsüsse gekeltert, ist die jüngste Neuerung im Sortiment. Den Anstoss gab die Schwiegertochter, die sich einst nach der Matura beim Praktikum auf einem Bauernhof für den Rebbau begeisterte und bei Schwarzenbach 2008 die Winzerlehre abschloss: Letztes Jahr kelterte Marilen Muff ihren ersten eigenen Wein mit gekauften Rheinrieslingtrauben. Nun hat ihr Partner für dieses Gewächs eine Parzelle in Uetikon am See dazugepachtet, bald ist die erste Ernte fällig.

Auch als Lehrbetrieb gefragt

Alles in allem umfasst der Betrieb heute doppelt so viel Rebland wie vor dreissig Jahren, rund 9 Hektaren, auf mehrere Gemeinden verteilt. Damit gehört er zu den drei grössten am See, wobei im 2007 erneuerten Keller auch für andere Winzer mit einer Rebfläche von insgesamt 7 Hektaren gekeltert wird. Seit sechzig Jahren wird hier auch Berufsnachwuchs ausgebildet, stets je eine Person aus der Deutsch- und der Westschweiz. Die Lehrstellen im Land sind gefragt  auch weil mancher davon träumt, den Büro- gegen den Winzer-Job einzutauschen. Wer es als Zweitausbildung macht, kehrt aber, so heisst es, meist bald zurück in den angestammten Beruf. Ganz so romantisch, wie es sich einige ausmalen, ist das Winzerdasein kaum  und längst nicht immer ein Zuckerschlecken.

Offene Weinkeller an diesem Wochenende
urs.  230 Schweizer Weinbaubetriebe öffnen dieses Wochenende ihre Türen: Unter dem Motto «Offene Weinkeller» wird am Samstag und Sonntag jeweils ab 11 Uhr zum Degustieren der neusten Jahrgänge und zu Einblicken geladen. Dazu gibt's etwas zu beissen, von Fischknusperli bis zur Wurst. Fast ein Drittel der Betriebe finden sich im Kanton Zürich: Am Zürichsee sind nebst Schwarzenbach 22 weitere beteiligt, ferner 34 im Wein- und 19 im Unterland sowie 3 im Limmattal (Details dazu unter: www.offeneweinkeller.ch).

Was 1999 von einigen Winterthurer Winzern initiiert worden war, hat inzwischen das ganze Land erfasst und bezieht sogar ein paar Produzenten vom deutschen Bodenseeufer und aus Liechtenstein ein. Die putzigen «Kellertiere», mit denen seit Jahren für die Aktion geworben wird, gestaltet übrigens Peter Gut, NZZ-Lesern wohlbekannt als Zeichner mit ebenso sicherer wie spitzer Feder.
Kasten:
Frost bringt bange Momente für Winzer
urs.  Die Minustemperaturen, die vor allem in der Nacht auf den Donnerstag gemessen worden sind, haben auch den Rebbau in der Region getroffen. Das Weingut Schwarz in Freienstein etwa meldet «grosse Schäden». Am Donnerstagmorgen habe sich ein trauriges Bild geboten. Man bange um die Ernte, da viele Knospen erfroren seien. Besonders hart getroffen habe es den Chardonnay an exponierter Lage, dessen Ertrag sich wohl auf einen Schlag halbiert habe.

Das Meilener Weingut Schwarzenbach (s. Hauptartikel) ist nach Auskunft der Inhaberfamilie «wohl knapp davongekommen», da der See als Wärmepuffer diene. In wenigen Lagen im Flachen, an denen die Luft schlecht abfliesse, habe es geringe Schäden gegeben (wobei auch hier besonders der Chardonnay betroffen ist). Der Betrieb rechnet mit keinem grösseren Ernteausfall, hält aber fest, das genaue Ausmass der Schäden sei erst in ein paar Tagen abschätzbar.
Fazit: Weinbauer wenden viel Mühe auf, um dem Trinker einen genussvollen Rausch zu verschaffen.


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