Montag, 11. April 2016

Kölner Stadt-Anzeiger: Stoffe, aus denen Träume werden können


  Die Nacht will mal wieder nicht enden. Schlimmer noch: Sie will nicht mal richtig anfangen. Wer sich stundenlang im Bett hin- und herwälzt und sich tagsüber wie zerschlagen fühlt, der träumt von rascher Hilfe. Wie verführerisch ist es da, das Problem schnell mit einer Schlaftablette zu beseitigen - zumal, wenn es sich um ein vermutlich harmloses Medikament handelt, das rezeptfrei zu haben ist.  

  Doch so harmlos, wie sie scheinen, sind auch rezeptfreie Schlafmittel nicht. Bei Mitteln, die ohne Verordnung erhältlich sind, handelt es sich vor allem um pflanzliche Präparate wie Baldriantabletten oder um Antihistaminika. Zu dieser Wirkstoffgruppe gehören Doxylamin (zum Beispiel "Hoggar Night", "Schlafsterne") und Diphenhydramin. Solche Mittel machen schläfrig, indem sie den Einfluss von Histamin senken, eines wachmachenden Botenstoffs im Gehirn. In erster Linie werden mit Antihistaminika Allergien behandelt. Um sie als Schlafmittel zu nutzen, hat man eine unliebsame Nebenwirkung älterer Anti-Allergika positiv umgedeutet: nämlich, dass sie müde machen.  

  Benzodiazepine machen schnell abhängig  

  Peter Geisler zufolge können Antihistaminika tatsächlich dabei helfen, schneller einzuschlafen. "Das Schlafmuster verändert sich dadurch nicht sehr", sagt der Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums Regensburg. Außerdem schätzen Experten das Risiko, von diesen Mitteln abhängig zu werden, als gering ein. Dafür können Antihistaminika erhebliche Nebenwirkungen haben. "Sie werden vom Körper nur langsam abgebaut, sodass man sich manchmal noch am nächsten Tag matt fühlt", erklärt Professor Markus Schwaninger vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Universität Lübeck. Außerdem blockieren die Wirkstoffe den Neurotransmitter Acetylcholin. Dadurch kann es - vor allem bei hohen Dosen - zu Konzentrationsstörungen bis hin zu Verwirrtheitszuständen kommen. "Es wird auch diskutiert, ob solche Mittel eine Demenz auslösen können", sagt der Pharmakologe. Allerdings lässt sich schwer sagen, ob in den beobachteten Fällen wirklich die Präparate am geistigen Abbau schuld waren - oder ob die Schlafprobleme, de-retwegen sie genommen wurden, nicht schon Symptom einer beginnenden Demenz waren.  

  "Vor allem alte Leute sollten bei der Einnahme von Antihistaminika vorsichtig sein", sagt Schwaninger. Wegen der Überhang-Effekte kann es nämlich leichter zu Stürzen kommen, auch das Autofahren wird gefährlich. Abgesehen davon ist der Nutzen der Mittel begrenzt. "Antihistaminika können bei leichten Schlafstörungen helfen. An grundlegenden Schlafproblemen ändern sie aber nichts", sagt Hans-Günter Weeß von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. In seinen Therapiegruppen hätten fast alle Teilnehmer Selbstbehandlungsversuche mit Antihistaminika hinter sich. "Den wenigsten haben diese längerfristig geholfen", sagt Weeß.  

  Bei den verschreibungspflichtigen Medikamenten gibt es eine große Bandbreite. Am gängigsten sind Benzodiazepine und sogenannte Z-Substanzen wie Zopiclon und Zolpidem (Benzodiazepin-Rezeptoragonisten). Die Mittel wirken im allgemeinen gut, haben aber auch ein weites Spektrum an Nebenwirkungen. Benzodiazepine können beispielsweise die Atmung beeinträchtigen - und sind deshalb für Asthmatiker und Menschen, die im Schlaf Atemaussetzer haben (Schlaf-Apnoe), gefährlich. Einen schlechten Ruf haben die "Benzos" aber vor allem deshalb, weil sie abhängig machen können. Nach einer Weile gewöhnt sich der Körper an die Mittel, sodass sie nicht mehr wirken. Das verleitet Betroffene dazu, die Dosis immer weiter zu steigern. Dadurch kann man in eine Spirale körperlicher Abhängigkeit geraten.  

  Oft ziehen Ärzte daher die neueren "Z-Substanzen" vor, da sie insgesamt als harmloser gelten. "Z-Substanzen wirken ähnlich wie Benzodiazepine, manche Wirkungen fallen aber geringer aus", erklärt Markus Schwaninger. So sind Überhang-Effekte am nächsten Tag seltener, außerdem ist das Abhängigkeitspotenzial geringer. Dennoch gilt für diese wie für alle klassischen Schlafmittel, dass sie nicht länger als vier Wochen genommen werden dürfen. Eine längerfristige Einnahme verändert nämlich unter anderem das Schlafmuster. "Das kann dazu führen, dass der Tiefschlaf völlig unterdrückt wird", sagt Weeß. Wenn Patienten über längere Zeit Schlafmittel brauchen, verordnen Ärzte zuweilen auch Anti-Depressiva oder Neuroleptika, die ebenfalls dämpfend wirken. Sie machen zwar nicht so schnell abhängig wie Benzodiazepine, haben aber deutlich mehr Nebenwirkungen.  

  Und wie sieht es aus mit der harmlosen, zuverlässigen Schlaftablette? Sie bleibt ein Traum. Zwar gibt es ein paar Präparate, die als ungefährlich gelten, doch sind sie nur schwach wirksam. Dazu gehört Melatonin, das Menschen ab 55 Jahren als Schlafmittel (Handelsname "Circadin") verschrieben werden kann. Das Hormon, das der Körper bei Dunkelheit ausschüttet, sorgt dafür, dass wir abends müde werden. Melatonin-Zufuhr soll vor allem bei Jetlag helfen, wieder zu einem geregelten Schlaf-Wach-Rhythmus zu finden. Möglicherweise profitieren vor allem Senioren von zusätzlichem Melatonin, weil der Körper im Alter weniger von dem Stoff produziert. Schlafmediziner Geisler hält es für ein eher unproblematisches Mittel, das aber allenfalls bei leichten Schlafstörungen hilft. "In den USA schlucken Millionen von Menschen Melatonin", sagt er. "Wenn es größere Risiken und Nebenwirkungen hätte, gäbe es Prozesslawinen."  

  Ähnlich wie Melatonin beurteilt Geisler auch L-Tryptophan, eine Aminosäure, die schlaffördernd wirken soll: "Man kann es damit probieren, es hilft aber nur in leichten Fällen." Aus diesem Stoff, der etwa in Cashewkernen, Sojabohnen und Käse vorkommt, wird im Gehirn der Botenstoff Serotonin gebildet, der wiederum wichtig für die Melatonin-Produktion ist. 

  Keine Bedenken zu haben braucht man bei pflanzlichen Präparaten, die zum Beispiel Baldrian, Hopfen oder Melisse enthalten. Sie haben so gut wie keine Risiken. Ob sie wirken, ist allerdings nicht ganz klar - nur für Baldrian- und Baldrian-Hopfen-Präparate gibt es vereinzelte Studien, die deren Wirksamkeit belegen. In manchen Situationen - etwa bei extremem Stress oder starker psychischer Belastung - können Schlaftabletten trotz aller Bedenken ein Mittel der Wahl sein. "Es kann in solchen Fällen sinnvoll sein, sie vorübergehend zu nehmen. Sie sind aber nur eine symptomatische Therapie, keine dauerhafte Lösung", sagt Weeß. Auch sollte niemand alte Pillen nehmen, die vor Jahren verschrieben wurden. Schließlich kann das, was damals unproblematisch war, inzwischen riskant sein - etwa weil man inzwischen eine Schlaf-Apnoe entwickelt hat. 

  Antihistaminika können bei leichten Schlafstörungen helfen. An grundlegenden Schlafproblemen ändern sie aber nichts. 

  HANS GÜNTER WEESS Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung  

  TIPPS ZUM EINSCHLAFEN 

  Regelmäßige Zeiten: Immer ungefähr zur selben Zeit zu Bett zu gehen und wieder aufzustehen, ist wichtig für den biologischen Rhythmus.  

  Schlafdruck aufbauen: Wer sich abends erst dann hinlegt, wenn er richtig müde ist, schläft in der Regel besser. Deshalb sollte man insgesamt nicht zu lange schlafen und auf längere Nickerchen tagsüber verzichten.  

  Wenig Alkohol, kein Koffein: Zwei Gläser Wein am Abend helfen zwar, schneller einzuschlafen. Insgesamt verschlechtert Alkohol die Schlafqualität aber gravierend. Außerdem reagieren manche Menschen sehr empfindlich auf Koffein. Wer dazu gehört, sollte ab etwa 13 Uhr weder Kaffee noch Schwarztee trinken.  

  Viel Bewegung: Wer regelmäßig Sport treibt, schläft meistens besser. Empfehlenswert ist vor allem, sich bei Tageslicht an der frischen Luft zu bewegen.  

  Nicht mit vollem Bauch ins Bett: Nach umfangreichen Menüs schläft es sich schlecht. Besser ist es, abends in Maßen zu essen und zu trinken. Manchen Menschen hilft es, tryphtophanreiche Kost wie dunkle Schokolade, Nüsse oder Milch zu sich zu nehmen. Wenig empfehlenswert sind größere Mengen Salz.  

  Abendliche Rituale: Von Einschlafritualen (etwa eine Bettlektüre oder ein Entspannungsbad) profitieren nicht nur Kinder.  

  Nicht im Bett herumliegen: Wer längere Zeit nicht mehr einschlafen kann und deshalb unruhig wird, sollte besser aufstehen und einer ruhigen Tätigkeit wie Bügeln nachgehen. 

  FRÜHJAHRSMÜDIGKEIT 

  Draußen räkelt sich die Natur aus ihrem Winterschlaf, drinnen würden Sie sich am liebsten die Decke über den Kopf ziehen. Frühjahrsmüdigkeit nennt der Volksmund die kollektive Mattigkeit, die viele Menschen in der ersten Aprilhälfte befällt und laut Umfragen von rund einem Viertel der Bevölkerung empfunden wird. Fragt man Schlafmediziner allerdings nach den Gründen, winken einige ab: Zur Frühjahrsmüdigkeit gebe es so gut wie keine wissenschaftlichen Studien, und überhaupt sei das doch wohl eher ein Fall für die Psychologen.  

  Dabei gibt es durchaus medizinische Gründe dafür, dass sich der Frühling den Organismus erst einmal wachrütteln muss. Einer sind die wärmeren Temperaturen, auf die sich der Körper erst einmal einstellen muss. In den ersten warmen Tagen weiten sich die Gefäße, was zur Folge hat, dass der Blutdruck absackt - ein klassischer Auslöser für Müdigkeit. Daneben spielen auch die Hormone Serotonin und Melatonin kurzfristig verrückt: Laut einer Studie von Forschern der Georgetown University in Washington sind der niedrige Serotoninspiegel und der hohe Melatoninspiegel nach dem lichtarmen Winter eine der Hauptursachen für Frühjahrsmüdigkeit. Der Grund: Wenn man sich im Frühjahr wieder häufiger im Freien aufhält, produziert der Körper vermehrt Serotonin, was das System ins Ungleichgewicht bringt. Auch die Zeitumstellung bringt Unordnung ins System und oft einen leichten Schlafmangel, was auch müde macht. 

  Und was kann man tun? Möglichst viel Tageslicht tanken, raten Experten. Das regt die chronobiologischen Mechanismen an. Und weckt den schläfrigen Körper langsam wieder auf. (ma) 

  Schätzungen zufolge haben zehn bis 30 Prozent der Deutschen einen gestörten Schlaf. 


Fazit: Alkohol desinfiziert, ist deshalb allerfings für die Schlafhygiene noch längst nicht geeignet.

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