Montag, 11. April 2016

Handelsblatt: JÜRGENS WEINLESE: Es geht auch ohne Alkohol

Seit Jahren werden Weine immer alkoholastiger. Doch es gibt einen gegenläufigen Trend, auf den etwa Marktführer Hawesko setzt. Und für die Winzer kann sich das Geschäft ebenfalls lohnen.

Allgemein gilt in der Weinwelt: Der Trend geht zu alkoholstarken Weinen. „Früher hatte ein Grand Cru aus dem Bordeaux 12,5 Prozent Alkohol. Das ist heutzutage bereits ein leichter Wein“, erinnert sich Jacques Heon, Gründer von Jacques’ Wein-Depot. „Jetzt haben diese Bordeaux-Weine 13,5 bis 14 Prozent“. Heute zählen Weine mit einem Alkoholgehalt von mehr als 13 Prozent seiner Meinung nach zur Normalität. „Da können Sie gleich einen Portwein trinken.“

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen hängt dies auch mit dem Klimawandel zusammen, der zu reiferen Trauben mit mehr Zucker führt. Und dieser Zucker wird bei der Vergärung in Alkohol umgewandelt – je mehr Zucker, desto mehr Alkohol.


Ein weiterer Aspekt: Robert Parker, der weltweit einflussreichste Weinkritiker, hat bereits zu Beginn der 90er-Jahre dunkelfarbige, kräftige Weine hoch bewertet und damit auch gefördert. Als solche Tropfen aus den USA und Australien nach Europa kamen, zogen die europäischen Winzer nach.
Der dritte Aspekt: Weine von Reben mit geringeren Traubenerträgen ergeben höhere Qualitäten beim Wein. Deswegen haben Weingüter, die auf Qualität setzen, ihre Erträge heruntergefahren. Allerdings ergeben weniger Trauben pro Stock zwangsläufig auch höhere Zuckerwerte, schreibt Experte Jens Priewe auf seiner Website „weinkenner.de“
Doch es gibt mittlerweile auch den gegenläufigen Trend: Den zu sogenannten „Low Alcohol“-Weinen. „Bei zehn Volumenprozent Alkohol liegt hier eine magische Grenze“, erläutert Johannes Merwald, Leiter Produktmanagement bei Hawesko. „Viele möchten schon mittags ein Glas trinken, ohne die Wirkungen des Alkohols zu spüren“, begründet er. Die börsennotierte Hawesko AG ist mit ihren verschiedenen Vertriebsschienen (Hawesko.de, Jacques’ Wein-Depot, Tesdorpf und Großhändler) und einem Umsatz von fast einer halben Milliarde Euro Marktführerin in Deutschland.


Wie Weine mit weniger Alkohol hergestellt werden


Das Unternehmen setzt mittlerweile stärker auf Tropfen mit weniger Alkohol. Beim Anbau gibt es dabei zwei verschiedene Richtungen: Die eine – wie beim Cora Alto Gargenega 9,5 aus Venetien – setzt auf Veränderungen beim Anbau wie zum Beispiel eine frühere Traubenlese. „Dadurch bekommen die Winzer den Zuckergehalt besser unter Kontrolle“, erläutert Merwald.

Die andere Methode: Der Wein wird in seine Bestandteile zerlegt, der Alkohol reduziert und dann wieder der Wein hergestellt. Das Verfahren heißt Umkehrosmose. Praktiziert wird das zum Beispiel von Pionieren der Entalkoholisierung in Frankreich, Francois und Vincent Pugibet vom Weingut La Colombette. Von diesem Gut vertreibt Hawesko den Doimain Pugbet Chardonnay mit neun Prozent Alkohol. „Der Wein wird jedes Jahr besser“, meint Merwald.

Die Herstellung von Weinen mit niedrigem Alkoholgehalt scheint sich auch für die Winzer zu lohnen. Colombette verkauft mittlerweile 500 000 Flaschen davon, obwohl das Weingut erst vor zehn Jahren intensiv mit der Produktion angefangen hat, erläutert Jean Jacques Plüss, Eigentürmer von Vinidee. Dies sei die Hälfte der Produktion von Colombette, das zuletzt seine Anbaufläche durch Zukäufe auf 220 Hektar vergrößert hat.

Die Fachagentur Vinidee mit Sitz in Neuss hat sich unter anderem auf den weltweiten Verkauf von alkoholarmen Weinen spezialisiert. Neben Hawesko mit seinen Jacques’ Wein-Depots zählen auch Lebensmitteleinzelhändler wie Edeka-Südwest, Fachhändler wie Rindchen aber auch Onlineshops wie Proidee zu seinen Kunden.

Nach Ansicht des Weinbauingenieurs lassen sich diese Weine weniger über die Gastronomie verkaufen. „Die Endverbraucher wollen Weine mit weniger Alkohol“, betont Plüss. Deutlicher wird Jacques Heon: „Nicht die Kunden sind das größte Hindernis, es sind die Händler und die Einkäufer. Mancher will die Weine noch nicht einmal probieren“, erläutert er, warum solche leichten Weine nicht stärker am Markt verkauft werden. Zu der Zielgruppe zählen verstärkt Frauen, die mehr auf den Alkoholgehalt achten als Männer.

Weine ohne Alkohol



Problematisch bei der Alkoholreduzierung sind aber Rotweine, bei denen oft die Aromatik verlorengeht. Beim Weißwein hingegen geht es mittlerweile auch ohne Alkohol – wie beim Natureo free vom bekannten spanischen Weingut Torres aus der katalanischen Penedes-Region. „Dieser Wein erfüllt auch den bekannt hohen Qualitätsanspruch von Torres“, erzählt Merwald. So besitze der Wein eine sehr gute Aromatik, allerdings fehle beim Trinken etwas, auch weil man beim Wein grundsätzlich Alkohol erwarte.
Den alkoholfreien deutschen Schaumwein Zero von der Kellerei Ohlig hat Merwald bei der Weihnachtsfeier des Unternehmens getestet. „Viele waren froh, dass sie mit uns und einem Glas Schaumwein anstoßen konnten.“
Am anderen Ende der Welt möchte Neuseeland sogar Marktführer für sogenannte Lifestyle-Weine mit weniger Alkohol werden und hat bereits Ende 2013 ein Programm in Höhe von 17 Millionen Neuseeland-Dollar (umgerechnet rund elf Millionen Euro) aufgelegt.

Nach Meinung des neuseeländischen Landwirtschaftsministeriums könnte dieser Markt im Jahr 2023 einen Umsatz von mehr als 180 Millionen Euro erreichen. „Kein anderes Land hat bislang Lifestyle-Weine im Fokus“, sagte Philip Gregan. Geschäftsführer der Winzervereinigung New Zealand Winegrowers. Neuseeländische Weine seien aufgrund ihrer intensiven Aromatik besonders geeignet. „Für uns wird dort allerdings noch nicht genug Menge produziert“, erläutert Merwald von Hawesko,
Der Trend zu wenig Alkohol lässt sich auch an einem ganz anderen Aspekt festmachten. In den Pariser Cafés werden meist Roséweine mit hellerer Farbe ausgeschenkt, was den Umsatz erhöht. Denn die meisten Weintrinker glauben, dass eine hellere Farbe weniger Alkohol bedeutet – das stimmt jedoch nicht.
„An der Stilistik der Roséweine aus der Provence mit einer helleren Farbe orientieren sich auch Weingüter aus anderen Regionen“, bestätigt Merwald. So würden mittlerweile in Spanien Rosés mit einer ähnlichen Stilisitik hergestellt, etwa der Larrosa Rioja: Zwar mit einer helleren Farbe, jedoch mit dem üblichen Alkoholgehalt.


Fazit: Wein ohne Alkohol ist wie Bratwurst aus Tofu.

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