Montag, 4. April 2016

Die Welt: Silvaner ist das Chamäleon im Glas



Deutschlands weiße Paradesorte mag noch Riesling heißen, doch der Silvaner hat mächtig aufgeholt. Vor allem Franken und Rheinhessen feiern eine Rebe, deren Potenzial erst langsam ausgeschöpft wird.
Liebe und Zuneigung drücken sich höchst unterschiedlich aus. Auch die zu Wein. Der eine, wie Winzersohn Christian Müller vom Weingut Max Müller in Volkach an der fränkischen Mainschleife, lässt sie sich auf den linken Unterarm tätowieren: "Main. Silvaner. Rockt." Der andere bekundet seine Zuneigung auch ohne Nadelstiche: "Mittlerweile ist der Silvaner meine Lieblingsrebe geworden", sagt Andreas Seyberth aus dem rheinhessischen Siefersheim. Wie man's auch immer ausdrücken mag: Neuerdings kann sich besagte Rebe vor Verehrern kaum retten.
Das war allerdings nicht immer so. Seit über 350 Jahren gibt es die Rebsorte in Deutschland. 1930 entfiel auf Silvaner ein Drittel der gesamten Produktion und bis Mitte der 1950er-Jahre blieb er, wegen Erntesicherheit und Ertragsstärke idealtypisch für süffigen Alltagswein, die hiesige Rebsorte Nr. 1. Von da an ging's bergab.
Neuzüchtungen, allen voran Müller-Thurgau, verdrängten den Silvaner, bis er 2007 nur noch rund fünf Prozent der deutschen Rebfläche ausmachte. Aus seiner Urheimat Franken allerdings war er niemals wegzudenken. Und in Rheinhessen beginnt er gerade, der Paraderebe Riesling ernsthaft Konkurrenz zu machen, auch wenn für die meisten Winzer Riesling immer noch die Krone der weißen Weinschöpfung gilt.
Doch die wiederentdeckte Liebe zum Silvaner hinterlässt bereits ihre monetären Spuren. Jener aus der Lage Siefersheimer Heerkretz ist sogar teurer als der Riesling aus gleicher Lage. Ganz so wie Andreas Seyberth halten es zwar noch nicht allzu viele Winzer in Rheinhessen. Doch dass sich das Anbaugebiet zu einem Silvanerspezialisten entwickelt hat, ist unverkennbar. Fast neun Prozent der Rebfläche zwischen Bingen, Worms und Alzey sind inzwischen mit dem weißen Klassiker bepflanzt. Das entspricht in etwa der Hälfte aller Silvanerreben in Deutschland.

Erste Pflanzung im Jahr 1659

Ein Großteil der anderen Hälfte wächst in Franken, wo die Sorte 22 Prozent ausmacht. Dort hat man soviel Erfahrung mit der Sorte, dass man sich schon mal ein bisschen auf die Schulter klopfen darf und dies auch immer selbstbewusster tut. "Der Silvaner ist ein Franke, ein Casteller", schwärmt Karl-Heinz Rebitzer, Weingutsleiter des Fürstlich Castell'schen Domänenamts, eines der imposantesten Betriebe der Region. Keine haltlose Aussage, denn im Jahre 1659 brachte ein Bote tatsächlich Pflanzen nach Castell. Hier wurden am 6. April jenen Jahres Deutschlands erste beurkundete Silvanereben gepflanzt.
Zu jener Zeit war der Silvaner auch unter dem Namen Österreicher bekannt. Vielleicht, weil ein Zisterzienser-Mönch aus Ebrach sie der Legende nach aus Österreich mitgebracht haben soll. Aus einem der vielen Schwesterklöster in Europa. Aber aus welchem, das konnte bislang ebenso wenig geklärt werden wie die angebliche Herkunft der Rebsorte aus dem rumänischen Transsilvanien, worauf immerhin der Name Silvaner deutet. In Castell machte sich die Rebsorte jedenfalls so gut, dass sie Verbreitung fand und schon 1665 im Würzburger Stein gepflanzt wurde, der wohl bis heute berühmtesten Lage Frankens.
Was auf den ersten Blick verwundern mag. Denn: "Die Weine des Silvaners sind geschmacksneutral und mit keinem sortentypischen Bukett ausgestattet." So wird jedenfalls die Sorte heute von der Bayrischen Landesanstalt für Weinbau beschrieben. Klingt nicht gerade verlockend, erweist sich aber als segensreich. Kaum eine Rebsorte kann aufgrund ihrer Eigenschaften ihren Standort und die dortige Bodenbeschaffenheit prägnanter und intensiver spiegeln als der Silvaner. Er ist das Chamäleon unter den Rebsorten und vielleicht deshalb in Deutschland mit seiner ausgeprägten Bodenvielfalt so populär wie nirgendwo sonst.

Besondere Stärke im Holzfass

Tendenz steigend, insbesondere was die Qualität betrifft. Ein zusätzlicher Pluspunkt der Rebsorte ist ihre Widerstandfähigkeit gegen Trockenheit und Hitze, wie sie 2015 herrschten. "Silvaner kommt ganz gut mit den Herausforderungen der Klimaerwärmung zurecht", sagt Frankenwinzer Rudolf May. "2015 haben wir keinen Weinberg, der älter als zehn Jahre war, bewässert." Mays Silvaner von 1963 gepflanzten Reben, zu einem Viertel im Barrique ausgebaut, gehört zu den spannendsten fränkischen Weinen dieser Sorte.
"Silvaner zeigt seine Stärke besonders im Großen Gewächs und Ausbau im Holzfass", schwört auch Castell-Weingutschef Rebitzer auf die traditionelle Lagerung. "Damit hat er enormes Reifepotenzial mit Länge und Tiefe." Beim Fürsten Castell kommt zudem der Sekt zu höchsten Ehren. Mit seiner Mischung aus Kräuterwürze und Cremigkeit ist er ein unverwechselbares Aperitiferlebnis.
Weitere Varianten der großen Silvaner-Vielfalt loten manche Winzer mit dem Blauen Silvaner aus, einer Spezialität mit dunklerer Beerenhaut und ganz eigenem Charakter. Und Andreas Seyberth in Rheinhessen hat gerade erst einen Versuch mit maischevergorenem Silvaner gewagt und macht auch im letzten Schritt keine Kompromisse. "Der wird schwefelfrei abgefüllt", so der Chef des Bio-Weinguts Alte Schmiede.
In seinen vielseitigen Spielarten passt der Silvaner damit nicht nur zu leichten Gemüsegerichten, die man früher mangels Fantasie zum Silvaner empfahl, sondern auch zu Kräftigerem. Von Forellenmousse (mit lediglich einem Hauch Meerrettich) über Geflügelleber bis zur Roulade vom Perlhuhn – an Möglichkeiten mangelt es nicht. Sogar Sushi und Speisen der chinesischen Küchen lassen sich oft besser mit trockenem Silvaner kombinieren als mit den immer wieder empfohlenen Rieslingen in restsüßer Variante. Apropos Zucker: Auslesen, Trockenbeerenauslesen oder Eisweine aus Silvaner harmonieren, wenn der Winzer ein Händchen hatte, zu kraftvollem Käse, aber auch zu cremigen Desserts.
Aus dem süffigen Alltagswein von einst ist dank entsprechender Bemühungen in Weinberg und Keller endgültig ein finessenreicher Spitzentropfen geworden.


Fazit: Alltagstauglicher Saufstoff


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