Sonntag, 3. April 2016

Die Welt: Die unterschätzte Partyhochburg

Belgrad ist die die wahre Arm-aber-Sexy-Stadt: Für das Nachtleben kratzt die junge, schicke, feierfreudige Szene das Geld zusammen

Das Licht ist hell und kommt aus mehreren Schreibtischlampen, die in der Mitte zum postmodernen Kronleuchter verbunden wurden und ihre Glieder wie Roboterarme von der Decke strecken. Der Boden klebt, die Wände wirken unverputzt. Im "Prohibicija", einer der zahlreichen Bars in Savamala, dem In-Viertel Belgrads, ist es laut und selbst an einem Dienstagabend rappelvoll.

Sämtliche Modeblogger würden beim Anblick dieser stylischen Serben hektisch ihre Digitalkameras zücken. "Niemand geht hier aus, ohne von Kopf bis Fuß aufgebrezelt zu sein. So arm können wir gar nicht sein, dass wir nicht zumindest reich ausschauen", sagt die 31-Jährige Serbin Sena Saletic. Und da Ausgehen die Lieblingsbeschäftigung der Belgrader ist, sehen sie eigentlich immer verdammt gut aus.

Lonely Planet kürte die "weiße Stadt", so Belgrads Name übersetzt, schon 2012 zur Weltpartystadt. Einige sind dem Ruf der Reisebibel bereits gefolgt, und so sah Belgrad vor allem Besucherwellen aus den umliegenden Balkanstaaten, England und den Niederlanden durch die Stadt schwappen. Doch für viele hat der Name Serbien im Zusammenhang mit den Jugoslawienkriegen noch immer einen negativen Beigeschmack. Die neue Generation scheint sich jedoch mit dieser Vergangenheit nicht mehr identifizieren zu wollen - man gibt sich offen, international und lebenslustig. So gehen viele junge Serben ins Ausland und bringen die dort gemachten Erfahrungen zurück in die Heimat, und jeder Zweite scheint ein Fach zu studieren, das "international" im Namen trägt.

Wie lebenslustig Belgrads junge Szene ist, zeigt sich vor allem nach Einbruch der Dunkelheit. Es gibt hier keinen Tag, an dem nichts los ist. Der Traum der siebentägigen Partywoche - in Belgrad wird er wahr. "Es ist sogar lässiger, unter der Woche wegzugehen. Am Wochenende geht jeder aus", findet die 28-jährige Sara Simovic. Die coolsten Partys fänden montags statt. "Auch die, die keine Arbeit haben, gehen feiern, denn fürs Ausgehen schafft es jeder, irgendwo Geld aufzutreiben", sagt Sara. Die Arbeitslosigkeit in Serbien liegt bei 26 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei 50 Prozent.

Die Möglichkeiten zum Partymachen sind vielfältig und aus westeuropäischer Sicht spottbillig. In Klubs zahlt man in der Regel keinen Eintritt, sondern reserviert als Gruppe einen Tisch, der zum Mindestverzehr von einer Flasche (meist hochprozentigem) Alkohol verpflichtet. Man trinkt auch in Belgrad die international bekannten Cocktails, zahlt allerdings höchstens fünf Euro. Den berühmten serbischen Slibowitz bekommt man bereits für einen Euro. Im Sommer, wo es dank Kontinentalklima in der Stadt bis zu 40 Grad heiß werden kann, verlagert sich die Klubszene an die beiden Flüsse Belgrads, die Donau und die Save. Dort wird in zu Klubs umgewandelten Hausbooten bis in die frühen Morgenstunden getanzt. In den vergangenen drei Jahren hat sich die Partymeile zentriert und nun liegen die Hausbootklubs nur noch auf der Save verankert, denn an der Donau war das Ufer zu nah an den nächsten Häusern, deren Bewohner wohl keine Freunde der Sieben-Tage-Party-Woche waren. Die It-Hausbootklubs sind etwa das "Freestyler" und das "Sound", die einen von Belgrad nach Ibiza transportieren, oder das "Hua Hua", der komische Kauz unter den Klubs, in dem auch mal traditionelle serbische Musik läuft und in den die ganze Stadt hineinzukommen versucht.

Im Winter kann es ziemlich kalt werden, gefeiert wird trotzdem. Savamala ist nur zehn Minuten vom Zentrum entfernt und kann durchaus mit Berlin-Friedrichshain oder dem Schanzenviertel in Hamburg verwechselt zu werden. Das von den Belgradern stolz als ihr "Hipsterviertel" bezeichnete Quartier besteht eigentlich nur aus zwei Straßenzügen, in denen jedoch beinahe jedes Haus eine Bar, eine Galerie oder einen Klub beherbergt.

Wie der gesamten Stadt sieht man auch Savamala die Vergangenheit an: Viele Gebäude sind heruntergekommen oder sogar noch zerstört vom Kosovokrieg vor weniger als 20 Jahren. In der ganzen Stadt wurden sie teils aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht mehr aufgebaut, teils als Mahnmal absichtlich in ihrem zerbombten Zustand gelassen. Doch solch düstere Gedanken sind weit weg, abends in Savamala. In die heruntergekommenen Gebäude wurden die hipsten Locations der Stadt gesteckt, und was von außen abschreckt, wirkt von innen wie frisch den Trendmagazinen entsprungen.

Da ist etwa das "Mikser", eine Kunstenklave in einer großen Halle, die mal Flohmarkt ist, mal Restaurant und Bar, mal Spielwarenladen oder Ausstellungsfläche. Im "KC Grad" spielen Live-Bands und es wird das neueste an urbaner Kunst ausgestellt, an der man mit Drinks in der Hand vorbeischlendern kann. Nebenan ist das "Berliner", wo es Wurst und Bier gibt und man gar nicht zu verbergen versucht, welche Stadt das ganze Viertel mitinspiriert hat. In der "Tranzit Bar" legen nur einheimische DJs auf, und es werden die besten Dim Sum der Stadt serviert, denn in Serbien schließen sich essen und tanzen keinesfalls aus. So werden aus Restaurants wie "Toro" oder "Frida" in den alten Lagerhallen an der Save, die Fingerfood, Sushi und moderne Küche servieren, abends tanzbare Klubs.

Schicker geht es in Vraèar zu, dem Distrikt, der den Dom des Heiligen Sava umgibt, ein riesiges byzantinisches Bauwerk, an dem seit Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wird. In Bars wie dem "Terminal", der Bar "Ceger" oder der Bar "Maska", in der man die exotische Dekoration gleich kaufen kann, tummelt sich ein Publikum, von dem man kaum glauben kann, dass es mit dem Durchschnittlohn auskommt. Und dennoch, das Monatseinkommen beträgt im Schnitt 300 Euro, und es gibt nicht viele, die wirklich viel Geld verdienen.

Dass der Trend dennoch zum luxuriöseren Vergnügen geht, belegt auch die Eröffnung des "Radisson Blu Old Mill Hotels" im Dezember 2014. Das dortige "OMB", zugleich Restaurant und Lounge, lockt nun die Szene Belgrads an. Freitags und samstags spielt hier ein DJ. Das Restaurant mit seinem Slow-Food-Konzept, der modernen Zubereitung regionaler Produkte, kommt bei den Serben, die sich traditionell eher an deftigen Fleischgerichten orientieren, sehr gut an. Das Hotel mit westlichem Chic ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich Belgrad Städten wie Berlin immer mehr annähert.

Der "place to be" in der 10.000 Studenten zählenden Universitätsstadt ist zur Zeit das "BIGZ" im baufällig wirkenden Hochhaus der ehemaligen Staatsdruckerei. In den mit kunstvollen Graffiti besprühten Stockwerken befinden sich ein Jazzklub, kreative Büros, Kulturklubs, Proberäume und Bars. Auf der Dachterrasse mit Blick über die ganze Stadt finden regelmäßig Events statt, bei der das benachbarte "Radisson"-Hotel das Catering übernimmt und somit, wie für Belgrad typisch, ein bisschen Glamour in eine im Grunde heruntergekommene Location bringt.

Tagsüber chillen die Nachteulen zumindest im Sommer in den vielen Parks der Stadt. Besonders der Kalemegdan-Park, der die uralte Festung umgibt, ist äußerst beliebt, allein schon wegen des herrlichen Blicks auf die Stadt und ihre Flüsse. Und, wie sollte es anders sein, auch auf der Festung finden Techno-Open-Air-Partys statt. Die Halbinsel Ada Ciganlija ist ein weiterer Ort, an dem "man" sich trifft. Aber was tagsüber geschieht, ist eigentlich irrelevant, denn die Nacht steht ja schon bald wieder vor der Tür. Also schminkt sich Belgrad, schlüpft in die High Heels, öffnet die erste Sektflasche - und schon kann sie kommen, die nächste serbische Nacht.


Fazit: Auch in Belgrad kann man sich arm saufen.

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