Donnerstag, 31. März 2016

Frankfurter Rundschau: Reim mager

Der Reim ist keine Laune der Natur. Der Reim ist erfunden worden, um die Ungereimtheiten des Lebens zu einer wenigstens sprachlich geordneten Form zu verdichten.
Der Reim in der Werbung ist aus der Mode gekommen. Wer erinnert sich nicht an die herrliche Zeit, als wir, den Bierflaschen-Bügelverschluss mit einem Zischen öffnend, vor dem einzig verfügbaren dritten Programm saßen und mit dem Fernseher inbrünstig mitsangen: „Und abends geht dann die Sonne auf, / belohnt Dich für den schweren Tag, / denn xx Pilsner von xxx / schmeckt feinherb, wie ich’s mag!“
Sie müssen sich für jedes „x“ eine Silbe denken, dann klappt das mit dem Rhythmus, und wir müssen keine Schleichwerbung machen, zumal der Tag mit diesem Bier eher noch schwerer wurde, aber das lag am Geschmack und nicht am Reim. Und dann war da noch „Ei, Ei, Ei xxx, xxx allerorten“ oder „Wenn einem so viel Gutes widerfährt, / das ist schon einen xxxx wert“.
Nun werden Sie einwenden, dass es sich ausschließlich um Alkoholika handelt, und tatsächlich speisen sich ja auch die Beispiele zwei und drei aus geistigen Getränken, nämlich Eierlikör und Weinbrand (uralt). Aber das ist Zufall, wir verweisen nur auf „Ja wer hätte das gedacht, / dass xx noch mehr Schmutz rausmacht“ (Waschen) bzw. „x macht mobil / bei Arbeit, Sport und Spiel“ (Essen) usw.
Auch das lokale Unternehmertum wusste seinerzeit, dass Vers und Verkauf Verwandte waren. So berichtet die Kollegin M. aus ihrer Jugend in einer Kleinstadt: Der örtliche Blumenhändler, nennen wir ihn Müller, stellte im März eine Art Postkartenständer vor die Tür, bestückt mit Blumensamenpäckchen und verziert mit einem Plakat: „Es wird Frühling im Kalender / und beim Müller steht der Samen im Ständer“. Die Wirkung soll durchschlagend gewesen sein, wenn auch nicht ganz im Sinne des Samenhändlers.
Alles vorbei, und das gibt wie gesagt zu denken. Der Reim ist ja keine Laune der Natur. Der Reim ist erfunden worden, um die reichhaltigen Aspekte, ja: die Ungereimtheiten des Lebens zu einer wenigstens sprachlich geordneten Form zu verdichten. Wer hat nie erfahren, dass sich die Vielfalt des Lebens erst aus der Geborgenheit eines Vier- oder wenigstens Zweizeilers heraus ersprießlich genießen lässt? Gerade jetzt, in unberechenbaren Zeiten?
Das Times mager hat sich deshalb entschieden, bei seinen Verlegern auf eine Werbekampagne zu dringen, die sicher Erfolg haben wird. Als Slogan schlagen wir zur freien Auswahl „Und wird das Leben immer karger, / sorgt doch für Freude das Times mager“ oder „Einen schweren, langen Tag er- / hellt schon morgens das Times mager“ oder „Das ist das Gute am Times mager: / Immer einen Scherz auf Lager!“ vor. Weitere Ideen sind willkommen, werden aber nicht berücksichtigt.


Fazit: In der Alkoholwerbung wird gern mager gereimt.


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