Donnerstag, 3. März 2016

der Freitag: Kein Platz für Illusionen. Belletristik. Strunk, Vesper, Schimmelpfennig... Wir besprechen die Shortlist des Leipziger Buchmesse-Preises (Auszug)

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Der goldene Handschuh

Die Vorhölle liegt mitten in St. Pauli, ein Trinkerparadies, um die Ecke der Reeperbahn. Die Vorhölle ist rund um die Uhr geöffnet.. Ihren Namen "Zum goldenen Handschuh" verdankt sie dem Boxer Herbert Nürnberg. Ihre Stammkunden heißen Tampon-Günter, Soldaten-Norbert, Leiche, Anus. Nur die Schimmligen, der Bodensatz des Bodensatzes, bleiben namenlos. Zu den Stammkunden gehört auch Fiete, Fritz Honka, der Serienmörder. Seine Geschichte erzählt Heinz Strunk im Roman Der goldene Handschuh. Die Trinker des Goldenen Handschuhs sind illusionslose Sprachkünstler. Ihr Pegelmanagement kennt zahllose Schattierungen des Suffs: Schmiersuff, Sturzsuff, Druckbetankung, Verblendschnäpse, Vernichtungstrinken.

Strunk erzählt eine trostlose Passionsgeschichte. Auf der einen Seite die Trinker im Goldenen Handschuh, auf der anderen Seite die Säufer einer Hamburger Reederfamilie. Der Hass ihres Seniors auf seinen Nachfolger wirkt wie ein Spiegelbild des Serienmörders, der in seiner Mansardenwohnung, unter dem Gestank der Opfer, die in der Abseite kaum übertüncht durch Raumspray und Urinreste verwesen, sein nächstes Opfer in den Blick nimmt. Strunk findet dafür eine lakonisch präzise, ungeheuer intuitive Sprache, die seine Protagonisten nicht vorführt, sondern in ihrem Dahingehen aus sich selbst heraus zum Reden bringt. Keine therapeutische Intervention funkt dazwischen.

Dass auch am unteren Ende der bürgerlichen Gesellschaft ein designiertes Opfer zuvor einen Vertrag mit seinem späteren Mörder unterschreibt, in dem es sich seinen absoluten Willen unterwirft, ist kein Hohn, sondern den Akten des hamburgischen Staatsarchivs entnommen. Die Gesamtkomposition des Romans wirkt wie die eines Films aus dem Frühwerk Rainer Werner Fassbinders. Es stimmt alles, auch die Adamo-Schnulze Es geht eine Träne auf Reisen passt ins Funzellicht.

Den Kontrapunkt zu Fritz Honka geben der aknezerfressene Reedersohn und sein Onkel. Auch sie kommen über eine instrumentelle Praxis des Sadismus nicht hinaus. Sie haben sich durch den Suff in größenwahnsinnige Universen verwandelt. Alles unter Kontrolle. Heinz Strunk antwortet mit dem Goldenen Handschuh implizit auf Daniel Schreibers Buch Nüchtern, das bei seiner Premiere im S-Bahnbogen des Savignyplatzes von bekennenden Trinkern gefeiert wurde. Du magst trocken sein, so Strunks Antwort auf Schreiber, der Größenwahn aber behält dich in seinen Krallen.

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Der goldene Handschuh Heinz Strunk
Rowohlt 2016, 256 S., 19,95€

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Fazit: Die Romane von Schreiber und Strunk sind zu empfehlen.

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