Sonntag, 17. April 2016

Infosat.de: „Zum Wohl?“ - Arte-Dokumentation über Alkohol und seine Folgen

Vor allem die Zahlen sind die Dröhnung dieser Dokumentation. 50 000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland an den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums. 156 Milliarden Euro Kosten hat Alkohol im Jahr 2010 EU-weit verursacht - in Gesundheitssystemen und durch Arbeitsausfälle. Auf der anderen Seite brachte Bier 2014 rund 29 Milliarden Euro an Steuern ein. 125 000 Arbeitsplätze in Brauereiwesen und 68 000 in Spirituosenbrennereien werden noch getoppt von drei Millionen im Weinbau. So erklärt es der Film „Zum Wohl? Trinkweltmeister Europa“, den Arte am 19. April 2016 (21.30 Uhr) zeigt.
Gift, Genussmittel - oder ein Mix aus beidem? Diese zentrale Frage versuchen die Regisseure der SWR-Produktion, Joana Jäschke und Esther Saoub, zu beantworten. Dabei schwingt bei der nur halbstündigen Doku die meiste Zeit - erwartbar - ein erhobener Zeigefinger mit. Und die Kritik ist oft wenig überraschend: Alkohol schädigt den Körper, kann zu tödlichen Unfällen führen, Familien in den Ruin treiben und zerstören. Schwangere und Stillende sollten keinen Alkohol trinken.
Die Folgen macht die Doku gleich zu Beginn deutlich: Gut fünf Minuten widmet sie Christian Weiser, der mit dem sogenannten fetalen Alkoholsyndrom lebt. Dass seine Mutter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat, ist ihm anzusehen. Und es spiegelt sich in seiner Biografie wider: aufgewachsen bei Pflegeeltern, Sonderschule, besonders geförderte Ausbildung und regelmäßige Arztbesuche. Allein in Deutschland kämen jährlich 4000 Kinder mit Behinderungen zur Welt, weil ihre Mütter Alkohol getrunken haben, sagt der Mediziner Hans-Ludwig Spohr von der Berliner Charité im Film.
Die Europäer trinken im Schnitt jährlich 10,1 Liter reinen Alkohol - doppelt so viel wie der Weltdurchschnitt, wie die Filmemacher erklären. In Deutschland seien es 11,0 Liter, was etwa 750 mittelgroßen Gläsern Bier entspreche. „Alkohol hat ein beinahe ehrwürdiges Image“, sagt die Stimme aus dem Off. Und sie beschreibt neben der wirtschaftlichen Bedeutung seine Rolle in der Politik, der Kirche, der Landschaft und im Sport, wo mit Schampusflaschen Siege gefeiert werden. „Diese Bilder zeigen das Gegenteil des Grauens, das ein Alkoholiker erlebt“, mahnt die Sprecherin. Dass das Reinheitsgebot in diesem Jahr seinen 500. Geburtstag feiert, wird da nicht mal erwähnt.
Einzig ein Vertreter des Europäischen Brauerverbands versucht, die Vorzüge zu verdeutlichen und die Kritik beispielsweise von Nichtregierungsorganisationen wie Eurocare wettzumachen. Doch da die Doku den erfolgreichen Einfluss der Alkohollobby auf die Politik zeigt und EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis als tadelnden Kontrahenten („Auch die Alkoholindustrie muss an ihre Verantwortung denken, nicht nur an Geld und Profit“) auftreten lässt, wird der Interessenvertreter insgesamt in den Hintergrund gedrängt.
Eindrücklich schildert auch Patrick Fillette die Auswirkungen seiner Alkoholsucht als zweites Fallbeispiel. „Sobald ich wach war, brauchte ich den Alkohol“, sagt der Franzose. „Ich musste da eine Leere füllen, um ich selbst sein zu können.“ Noch eine Zahl: 23 Millionen Menschen in der EU sind den Angaben zufolge alkoholabhängig.
Auch wenn die Dokumentation mit ihren Protagonisten und den aufgelisteten Fakten ein klares Ungleichgewicht hat und vieles prinzipiell den meisten Zuschauern bekannt sein dürfte, lohnt sich das Einschalten. Zum einen, um sich - gerade in der Kürze der Zeit - der Dimensionen bewusst zu werden. Zum anderen, weil der eine oder andere Fakt dann doch überraschen könnte. Zum Beispiel ein offenbar eklatanter Zusammenhang zwischen Alkohol und Brustkrebs.


Fazit: Am 19. April 2016, 21:30 Uhr, im Ersten zu sehen.

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