Sonntag, 17. April 2016

Die Welt: F. Scott Fitzgerald: Auch Alkoholiker und Gemütskranke brauchen Urlaub

Emily Walton reist mit F. Scott Fitzgerald an die Côte d'Azur, und Stewart O'Nan erzählt von den letzten Jahren des Schriftstellers in Hollywood. Selten hat Scheitern im Doppelpack mehr fasziniert.
F. Scott Fitzgerald starb am 21. Dezember 1940 im Alter von nur 44 Jahren. In seinem letzten Lebensjahr verdiente er an Tantiemen aus seinen Buchverkäufen 13,13 Dollar (das entsprach vierzig verkauften Exemplaren). Sein Biograf Jeffrey Meyers wies freilich darauf hin, dass die Tantiemen schon Ende der Zwanziger nicht üppig flossen: 1927, zwei Jahre nach Erscheinen des "Großen Gatsby", brachten ihm die Buchverkäufe 153 Dollar ein.

Sein Geld verdiente er auch zu seinen besten Zeiten vor allem mit Kurzgeschichten in Magazinen. Lohnschreiberei gehörte schon früh zum Autorenkonzept Fitzgeralds; den ersehnten Ruhm und die Anerkennung als literarisches Schwergewicht allerdings erhoffte er sich allein vom Roman. Dass sein wildes, ruheloses, sich selbst und andere verzehrendes Leben fast stärker fasziniert als sein Werk, gehört auch zur Tragik seiner Existenz.

Die Tragik seiner Existenz

Seinen Zusammenbruch, den "Crack-Up", hat Fitzgerald selbst in seinen berüchtigten "Esquire"-Essays von 1936 beschrieben (wenn auch äußerst stilisiert und, vor allem, entalkoholisiert). Bei der Betrachtung solchen Scheiterns verspüren wir vielleicht Schadenfreude des Spießers, aber mehr noch eine wohlige Angstlust, wie wenn ein Double an unserer Stelle in den Abgrund springt.

Zwei Bücher über Fitzgerald laden zur Reflexion über das Scheitern ein, ein biografischer Essay über das Schlüsseljahr 1926 und ein Künstlerroman über Fitzgeralds letzte Jahre in Hollywood. Hintereinander gelesen ergibt sich ein interessanter und quasi durch Zufall geschlossener biografischer Erzählbogen, gerade weil beide Bücher weder Phasen schwerelosen, rauschenden Gelingens noch den totalen, bodenlosen Sturz in Sucht oder (bei Ehefrau Zelda) psychische Krankheit schildern.

Die in Oxford geborene Wienerin Emily Walton setzt in ihrem leichthändigen Essay "Der Sommer, in dem F. Scott Fitzgerald beinahe einen Kellner zersägte" auf dem Gipfel der Lebens- und Karrierekurve an: Es ist das Frühjahr 1926, die Fitzgeralds mieten sich mit Töchterchen Scottie in dem Fischerdorf Juan-les-Pins bei Antibes, zwischen Cannes und Nizza, ein.

In der Nähe wurde zwei Jahre zuvor der "Gatsby" vollendet; 1925 war man auch schon hier und feierte eine endlose Sommerparty; nun endlich soll der neue Roman entstehen, mit dem Fitzgerald sich endgültig in die erste Reihe englischsprachiger Autoren schreiben will: in die Joyce-Liga (der "Ulysses" war 1922 erschienen).

Zu dem Gefühl, "so glücklich wie seit Jahren nicht mehr" zu sein, trägt auch die finanzielle Situation bei. Der "Gatsby" hat sich zwar nicht besonders gut verkauft (siehe oben), aber die Broadway-Adaption ist ein Renner und füllt das Konto; der Wechselkurs kommt hinzu - die Amerikaner können sich fühlen und aufführen wie Gott in Frankreich. Im Falle von Fitzgerald ist es allerdings der Gott Dionysos.

Champagnerduschen und Casino-Orgien

Er ist endlich schuldenfrei; wenn auch nicht lange: Der publikumswirksame Lebensstil mit zertrümmertem Mobiliar, horrenden Trinkgeldern, Champagnerduschen und Casino-Orgien lässt das gerade verdiente oder geliehene Geld so schnell wieder verschwinden, als würde man es verbrennen. Walton dazu trocken: "Scott und Zelda zählen nicht zu der disziplinierten Sorte Mensch, die streng mit sich ist und der ein Verfehlen von Zielen wirklich etwas ausmacht."

Detailreich und farbenfroh malt Walton die mediterrane Sommerfrische aus und porträtiert den kleinen, durchaus exzentrischen Künstlerzirkel rund um das ebenfalls in Juan-les-Pins ansässige Sammlerehepaar Gerald und Sara Murphy, zu dem sich auch ein Picasso, ein Dos Passos oder eine Dorothy Parker gesellen. Nicht zu vergessen Ernest Hemingway, der nicht nur seine Ehekrise, sondern auch ein Romanmanuskript mitbringt, und damit den Keim zu einer lebenslangen Männer- und Künstlerrivalität legt.

Fitzgerald lektoriert zwar kollegial und fleißig an dessen "Fiesta"-Manuskript herum, das eigene Romanprojekt allerdings versinkt in Champagner und Höherprozentigem. Schließlich können selbst die eselsgeduldigen Murphys seine Egomanie nicht mehr ertragen. Es bleibt der verzweifelte Plan, die Schreibblockaden mit immer größeren Mengen Alkohol zu lösen - wohl von Anfang an wenig erfolgsversprechend.

Von der Riviera nach Hollywood

Als die Familie im Dezember nach drei Jahren Europa auf dem Ozeandampfer die Heimreise antritt, ist vom Frühlingsglück keine Spur mehr übrig: Freundschaften sind zerbrochen, Fitzgerald ist endgültig Vollalkoholiker, das Konto ist leer, die Ehe in der Krise und das einstige "Flapper-Girl" Zelda nach Klinikaufenthalten körperlich und seelisch furchtbar angeschlagen. Der Roman "Zärtlich ist die Nacht" wird erst acht Jahre später erscheinen, zu einem Zeitpunkt, als das Jazz Age längst der Großen Depression gewichen und Zelda Dauerpatientin in der Psychiatrie ist.

Neuanfang in Hollywood?

Im Rückblick kann der Sommer aber schon wieder verklärt werden: "Um sich abzukühlen, trank er einen einfachen Gimlet mit Eis und Limette, legte sich auf eins der Sofas und blickte zwischen den Palmen hindurch zu den Sternen hinauf. Der Mond war eine schmale, weiße Sichel, und er musste an den letzten Sommer in Antibes denken, vor dem Crash, als Zelda noch ihm gehörte und alles möglich war."

Stewart O'Nans neuer Roman "Westlich des Sunset" springt vom Mittelmeer an die Westküste, nach Hollywood, wo Fitzgerald 1937 einen Neuanfang als gut bezahlter Drehbuchautor versucht: Zelda vegetiert in einer teuren Privatklinik in North Carolina dahin; Tochter Scottie, inzwischen ein Teenager, steckt im Internat. Fitzgerald versucht sich zusammenzureißen, trocken zu bleiben und pünktlich jeden Morgen im MGM-Bürokomplex aufzutauchen: Der Akzent in Traumfabrik liegt ja in Wahrheit auf "Fabrik".

Wie die Riviera-Zeit ist auch die Hollywood-Phase Fitzgeralds bestens dokumentiert, etwa in den Erinnerungen der Filmkollegen und seiner neuen Lebensgefährtin Sheila Graham, einer Klatschkolumnistin. O'Nan versucht, den bekannten biografischen Fakten innere Notwendigkeit zu verleihen, und macht so die Tragödie eines Künstlers anschaulich, der mit seiner demütigenden Alltagsfron den Preis für seine jugendliche Hybris zahlen muss. Gesünder, fitter, jünger würde sich ein Fitzgerald nicht von tyrannischen Produzenten und intriganten Kollegen vorführen lassen.

In einem Leben ohne zweiten Akt

"In einem amerikanischen Leben gibt es keinen zweiten Akt", dieses Fitzgerald-Wort hat O'Nan dem Roman vorangestellt, konterkariert von dem Satz "Nichts war ausgeschlossen, alles fing eben erst an". Seine Deutung der Figur liegt zwischen diesen Polen. Denn objektiv scheitert Fitzgerald - kaum eines der Filmprojekte wird ungerupft realisiert, der Alkoholismus hat ihn bald wieder im Griff, seine neue Beziehung steht immer wieder auf der Kippe, und am Ende macht sein Herz den selbstzerstörerischen Lebenswandel nicht mehr mit.

Und doch erfindet er sich ein Stück weit neu: als Held des Rückzugs, den sein Rest Verantwortungsbewusstsein für Ehefrau und Tochter doch zu Bescheidung und Pragmatismus zwingt. Neben dem Drehbuchjob schreibt er weiter Storys, schluckt abwechselnd Schlafmittel und Wachmacher. Am Ende ist es paradoxerweise auch sein Arbeitsethos, der ungebrochene Wille zum Werk, der ihn umbringt. Westlich des Sunset wartet nur der Tod.

So unterschiedlich die beiden Bücher sind - O'Nan liefert nebenbei einen glänzenden Einblick in die Hollywood-Maschinerie und erzählt ein Kapitel Filmgeschichte - ergänzen sie sich doch auf überraschende Weise. Nicht nur, weil einige der alten Gefährten wie Dorothy Parker oder Hemingway in L. A. wieder auftauchen.

Auch die Plots spiegeln sich: In Juan-les-Pins gibt es keinerlei Widerstände mehr, Fitzgerald kann mit dieser totalen Freiheit nicht umgehen und scheitert allein an sich selbst. Zehn Jahre später hat er seine inneren Konflikte unter Kontrolle gebracht, aber die äußeren Umstände, das "System Hollywood", werfen ihn zu Boden. Als er die eigenen Dämonen besiegt hatte, fehlte ihm die Kraft für die Welt.


Fazit: Der Durchschnittstrinker nimmt seinen Urlaub in der Entwöhnungsklinik.

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