Montag, 4. April 2016

Die Welt: Der warme Kuss der Traube

Sommerweine sind wie ein Flirt. Sie stehen für beschwingte Leichtigkeit, pure Freude und reuelosen Genuss. Ihre Saison währt zwar nicht sehr lange, doch sie setzen betörende Fantasien frei

Vor rund 50 Jahren landeten die US-Schlagerstars Nancy Sinatra und Lee Hazelwood mit dem Song "Summer Wine" einen Riesenhit. "Strawberries, cherries and an angels kiss in spring", trällerte Nancy – "my summer wine is really made from all these things." Der Evergreen erzählt vom Flirt eines Mannes mit einem vermeintlichen Engel, der ihn zu übermäßigem Konsum von "Sommerwein" verführt. Als er mit einem riesigen Kater erwacht, hat der Engel ihn ausgeraubt. Doch was ihm bleibt, ist die Lust auf noch mehr von dem süffigen Saft.


Folgt man der Schlagerlegende, ist ein Sommerwein also fruchtig und süffig. Es handelt sich in aller Regel um Weine aus dem jüngsten Jahrgang, trinkreif ab dem Frühling, schon im Spätsommer im Zenit ihrer Reife und zum Ende des Herbstes hin bestenfalls ausgetrunken. Einen typischen Sommerwein legt man nicht für zwei Jahre in den Keller. Oder höchstens als Erinnerungsstück an die eigene Open-Air- Hochzeitsfeier.
Sommerwein kennt keine gesetzliche Definition, keine vorgeschriebenen Rebsorten, kein spezielles Anbaugebiet. Als Marketingbegriff hat er seinen Ursprung in Großbritannien, während der Begriff im Süden Europas gänzlich unbekannt ist. Aber dort, wo Sommer, Sonne und Wärme nicht garantiert sind, weckt er, einem beschwingten Flirt vergleichbar, Wünsche und Fantasien.
Grundsätzlich stehen bei Sommerweinen nicht Körper, Struktur und Extraktreichtum, sondern Unkompliziertheit, Frucht und Frische im Vordergrund. Den genarrten Weinfreund aus dem Nancy-Sinatra-Schlager könnte man vermutlich begeistern mit einem Rosé der Winzervereinigung Freyburg- Unstrut. Der schmeckt köstlich und lieblich nach Erdbeeren und Kirschen und beschwört tatsächlich einen frühlingshaften Engelskuss herauf. "Für mich muss ein idealer Sommerwein vor allem leicht, fruchtbetont und spritzig sein", sagt Hans-Albrecht Zieger, Direktor der anhaltinischen Genossenschaft. "Idealerweise sollte er leichte Grillgerichte und frische Salate perfekt begleiten. Diesen Ansprüchen wird unser Dornfelder Rosé vom Weimarer Poetenweg gerecht. Seine fruchtige Süße unterstreicht den frischen, beerigen Geschmack."
So viel steht fest: Roséwein gehört zum Sommer, zu lauen Abenden und leichten Speisen. Das gilt für Sachsen, die nördlichste Weingegend Deutschlands genauso wie für Baden, die südlichste. "Ein trockener Rosé bringt das Gefühl eines südländischen Aperos auf den Tisch, mit Fisch und Oliven", sagt Yves Müller, Kellermeister der familiären Genossenschaft der Haltinger Winzer im Markgräfler Land. Sie hat auf ihren 50 Hektar Weinbergen fast ein Drittel Spätburgunder gepflanzt. "Mein Favorit ist unser Rosé vom Spätburgunder", bekennt Müller. "Angenehm kühl bietet er mir sowohl die Aromen der sommerlichen Beeren wie Himbeere und Erdbeere, als auch eine spritzige Frische."
Nicht alle bei uns angebauten Rebsorten bieten sich für die Kurzlebigkeit eines Sommerweins gleichermaßen an. Als Faustregel kommen neben den roten Trauben Dornfelder und Spätburgunder ein paar Weißweine in Frage: Müller-Thurgau, auch Rivaner genannt, Riesling und Elbling sind die verbreitetsten. Insbesondere der Müller-Thurgau ist, vergleichbar dem Dornfelder, sehr ertragreich und, was Böden, Klima und Reb-Aufzucht betrifft, recht anspruchslos – gute Voraussetzungen für eine unaufwendige Herstellung und schnelle Trinkreife. Zwar geriet die 1882 von dem Schweizer Rebforscher Hermann Müller-Thurgau in der Rheingauer Forschungsanstalt Geisenheim gezüchtete Sorte im 20. Jahrhundert durch überstrapazierte Erträge in Misskredit. Inzwischen zeigen jedoch viele Winzer, dass sie zu sehr angenehmen, bekömmlichen und sogar charaktervollen Weinen taugt.
Ein intensiver, grünfruchtiger, anregender und konsequent trockener Müller- Thurgau gelingt den Brüdern Stephan und Georg Schwedhelm im hübschen Zellertal, ganz im Norden der Pfalz. In ihrer hellen modernen Probierstube, einem Holzbau mit Weitblick über die Weinberge, verrät ein großer gerahmter Bodenschnitt von der Lage Kreuzberg das Geheimnis. "Da haben wir unten ganz viel Ton, der Mittelteil ein Kalkmergelband und oben Lehm mit Kalk", erklärt Weinmacher Stephan Schwedhelm. "Wir sind halt sehr kalkaffin. Es ist bei uns kühler, wir haben immer Wind. Wir versuchen, im Wein die Mineralität auszudrücken." Das gelingt ihnen bestens, auch mit Riesling und Weißburgunder. Während seine Kollegen Sommerweine oft zu Gartenparty und Grillen empfehlen, hat er ein besonderes Faible: "Für mich ist das ein klassischer Kochwein. Wenn man in der Küche steht, das Gemüse schneidet und das Fleisch vorbereitet, dann ist so ein Wein super. Den kann man nebenher trinken. Der macht Spaß."
Der Riesling wird oft mit deutschem Weißwein in einem Atemzug genannt. Weltweit geschätzt sind restsüße Auslesen ebenso wie voluminöse Tropfen aus Spitzenlagen, oft mit moderater Säure und recht hohem Alkoholgehalt. Beim Sommerwein aber ist es quasi umgekehrt. Sind die Tage heiß und die Nächte lau, ist weniger Alkohol, gepaart mit knackiger Frische, deutlich bekömmlicher. Letztere entsteht unter anderem durch einen relativ hohen Säuregehalt, gepaart mit einer kalten Gärung und recht kurzem Ausbau, bevorzugt in großen Stahltanks.
Aus Müller-Thurgau und Riesling komponiert Jürgen Off, Kellermeister der Weinmanufaktur Untertürkheim in Württemberg, seine sommerliche Cuveé mit dem Namen "Simply". "Feinherb ausgebaut ist er fruchtig, elegant und angenehm frisch im Glas. Mit moderatem Alkoholgehalt von zehn Volumenprozent taugt er gut als Aperitif und Essensbegleiter zu sommerlichen Salaten und würzigen Speisen wie Curryhühnchen".
Ähnlich wie der Müller-Thurgau war auch der Elbling, ein echter Senior unter den Rebsorten, schon von den Römern an der Mosel und im Rheintal kultiviert, vor nicht allzu langer Zeit noch als Massenwein verschrien. Heute hat er an der Obermosel sein Rückzugsgebiet – nicht zuletzt in der Gemeinde Nittel. "Elbling ist nach wie vor für uns die wichtigste Sorte", sagt der dortige Winzer Jürgen Dostert. "Im Vergleich zu früher wird er viel geringer angeschnitten. Runter mit dem Ertrag und bei der Ernte warten, bis die Trauben reif sind. Dann hat man einen anderen Elbling, als man ihn noch vor zwanzig Jahren kannte. Viele Vorurteile sind da schon revidiert worden." Jürgen Dostert liebt ihn zu Fisch und Miesmuscheln und zu Pasta und Pizza mit Meeresfrüchten. Sein Sohn Jonas, der eigentlich von großen Burgundern aus dem Barrique träumt, bekennt sich dennoch zur heimischen Spezialität: "Mit dem Elbling haben wir ein Alleinstellungsmerkmal. Von vielen Kritikern nicht so geschätzt, hat er als leichter, spritziger Wein für warme Tage seine perfekte Bestimmung."
Immer mehr Winzer in Deutschland öffnen ihre Rebflächen auch anderen, neuen, exotischen Sorten – etwa dem aus Frankreich stammenden Sauvignon Blanc. Und die Beliebtheit deutscher Sauvignons wächst mit. Stachelbeere, Gras, Kräuter und vor allem grüne Früchte prägen sein Aroma. Junior David Spies vom Weingut Uwe Spies in Rheinhessens Wonnegau, hat für seinen Sommer- Sauvignon einen eigenen Stil entwickelt. "Von dem Motto 'So grün wie möglich' sind wir völlig weg gekommen", erzählt er. "Der Sauvignon hat gerade in der Reife so große Veränderungen wie keine andere Rebsorte." David Spies legt alles darauf an, die Trauben genau in dem Moment zu lesen, wo sie noch Säure und grüne Nuancen besitzen, aber auch schon reife, exotische Fruchtaromen. "So passt er sehr gut zu Vorspeisen und Gemüsen", empfiehlt er. Apropos Gemüse: Sommerwein ist natürlich auch Spargelwein. Die aromatischen Stangen flirten sehr gern mit Sauvignon Blanc und Müller-Thurgau.
Deutschlands Winzer blicken zumeist euphorisch auf den Jahrgang 2015. Ungewöhnliche Hitze und Trockenheit hätten den Trauben eher genützt als geschadet, so das Deutsche Weininstitut (DWI) in Mainz. Ausdrucksstark, vielfältig und hochwertig fielen Weiße wie Rote in allen Anbaugebieten aus. Einzig die Erträge fielen unter dem Strich etwas geringer aus, allerdings regional sehr unterschiedlich. Viele 2015er aus fast allen Anbaugebieten sind mittlerweile abgefüllt und verkaufsbereit – meistens zu stabilen Preisen.


Fazit: Sind die Tage geiß und die Nächte lau, ist das ganze Land schön blau.


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