Dienstag, 12. April 2016

Der Tagesspiegel: Von der Rolle: Kein deutscher Schriftsteller kann nerven wie Maxim Biller. Er haut drauf, beim Reden und Schreiben. Was ist da echt und was gespielt? Unterwegs mit einem Provokateur

Über Lea Rosh, Kämpferin für das Holocaust-Mahnmal, schrieb er einmal, sie sehe aus wie ein Transvestit und sei die "Zicke vom Dienst". Seinen deutschen Schriftstellerkollegen warf er "Schlappschwanz-Literatur" vor, und Harald Schmidt betreibe "Sadismus im Schulhofformat". In der Neuauflage des "Literarischen Quartetts", deren fester Teil er ist, sagte er neulich über ein Buch: "Es ist so konstruiert, es ist so lächerlich, das ist wirklich ein Sat1-Film-Film, tut mir leid."

Maxim Biller ist der Mann für knallharte Urteile, Skandale und Provokationen. So jedenfalls sein Ruf. Keiner in der deutschen Literaturszene kann nerven wie er. Gerade ist sein Roman "Biografie" erschienen. Auf dessen fast 900 Seiten stehen viele drastische Sätze wie diese: "Was hatten diese großen humorlosen deutschen Männer von ihr gewollt? Vaters Geld vielleicht? Oder einmal in ihr jüdisches Krötengesicht spritzen und sich danach so schuldig fühlen wie ihre Väter und Großväter?" Mit "Biografie" hat Biller wieder - zuverlässig, möchte man sagen - eine Debatte ausgelöst. Was treibt so einen an, also den Menschen hinter dem Krawallmacher-Image?

Biller bestellt erst mal Ingwertee. Er, der in vielem, was er schreibt, so maßlos wirkt, verabscheut Alkohol und macht einen ausgesprochen höflichen Eindruck. Mit dem Zeigefinger wischt er über das Display seines Mobiltelefons, er sucht etwas. "Warten Sie, das muss ich Ihnen zeigen", sagt er. Dort, die Rezension seines Buchs in der "Hannoverschen Allgemeinen". Biller schaut aufs Telefon und zitiert begeistert: "Das Werk ist wüst und schamlos, selbst für heutige Begriffe ungewöhnlich verdorben." Er lächelt. "Ungewöhnlich verdorben", wiederholt er amüsiert.

"Biografie" handelt von den ziemlich abstrusen Erlebnissen zweier jüdischer Freunde in Berlin, Tel Aviv, dem Sudan - und den Auswirkungen des Holocaust auf die Kinder der Überlebenden. Das Buch ist überdreht, voller Witze und Sex, "burlesk", sagt der Schriftsteller. Ein Großteil der Kritiker hat es verrissen. Ihn regt das auf, aber nur ein bisschen. Das Wichtigste ist, sie reden über seinen Roman. "Ich habe was ganz Neues gemacht, und den älteren Herrschaften aus dem ,SZ‘-Feuilleton fehlt das Besteck, es zu analysieren. Das ist, als habe ein Musikkritiker immer nur Beatles gehört, und jetzt kommt Grandmaster Flash."

Maxim Biller hat einen Ecktisch in seinem kleinen Stammlokal in der Kastanienallee reserviert. Punkt zwölf ist er da, ein schmaler Mann im blauen Pullover, mit eckiger, modischer Brille und einem Bart, der über den Lippen dichter ist als auf den Wangen und am Kinn. Ein Gruß an den Mann hinter der Theke, ein Hallo in Richtung eines Gasts. Sie kennen ihn hier. Seit er vor mehr als zwölf Jahren nach Berlin gezogen ist, wohnt er in der Gegend um den Zionskirchplatz. Menschen, die ständig umziehen, kann er nicht verstehen. Er will nicht weg. "Hier gibt es auf drei Quadratkilometern die besten Cafés, die besten Leute." Die besten, die schlechtesten. Biller, der Mann mit der Meinung.

"Ich esse immer um diese Zeit", sagt er. Sein Tagesablauf ist streng geregelt: aufstehen gegen halb sieben, schreiben, Mittagessen, wieder schreiben, dann vielleicht schwimmen. Acht Jahre hat die Arbeit an "Biografie" gedauert, nebenbei verfasste er Zeitungskolumnen. Den Rückschlag im Jahr 2003, als der Verkauf seines Romans "Esra" gerichtlich gestoppt wurde, weil sich darin zu viele intime Details einer echten unglücklichen Liebe fanden, scheint Biller gut verkraftet zu haben. Seiner Produktivität tat es jedenfalls keinen Abbruch. "Die letzten Jahre gab es nur noch Sieben-Tage-Wochen."

Am heutigen Dienstag präsentiert er "Biografie" im Deutschen Theater, zwei Tage darauf in München. Es wird der erste Besuch in seiner alten Heimat sein seit dem Umzug nach Berlin. Er habe sich ferngehalten, "um das Heimweh zu bekämpfen". In München hat er studiert und die Journalistenschule besucht. Ein Ort, an dem man sich gut anzog und nicht kaputt arbeitete, sagt er. So angenehm anders als im Rest von Deutschland sei es da, hat er mal in einem Text geschrieben. Denn Deutschland ist für Biller das "Land der Verklemmten". Ein Land, in dem die Leute nicht mit Unbekannten reden und Angst davor haben, sich lächerlich zu machen.

Geboren wurde Biller 1960 in Prag, als Sohn russisch-jüdischer Eltern. Der Vater seiner Mutter war Armenier. "Ich habe das Glück, Angehöriger zweier Völker zu sein, an denen man versucht hat, einen Genozid zu verüben." Peng, Biller feuert die Sarkasmen beim Reden nicht anders ab als beim Schreiben. Dann springt er auf: Man möge doch bitte die Meditationsmusik, die da im Hintergrund dudelt, leiser machen. Er könne sich sonst nicht auf das Interview konzentrieren.

Einer seiner Vorgänger beim "Literarischen Quartett", Marcel Reich-Ranicki, stellte Biller im Jahr 2000 bei der Besprechung von dessen Roman "Die Tochter" mit den Worten vor: "Biller ist Jude, und dieser Hinweis ist wichtig, weil sein ganzes bisheriges Werk damit ganz stark zu tun hat." Was folgte, war übrigens ein Verriss, nach dem kaum mehr ein Exemplar des Buches verkauft wurde. Seitdem weiß Biller um die Macht des "Quartetts". Reich-Ranicki hat ihn viele Jahre beschäftigt, wie man in Billers Selbstporträt "Der gebrauchte Jude" nachlesen kann. Nun sitzt er gewissermaßen auf dessen Stuhl. Für Biller verkörpert der 2013 verstorbene Kritiker mit seiner unerschrockenen Meinungsfreude, vielleicht auch mit seiner Gabe für die Show, ein bestimmtes jüdisch-intellektuelles Talent, wie es auch dem Theaterkritiker Alfred Kerr oder dem Schriftsteller Kurt Tucholsky zu eigen war. "Ich sehe mich in dieser Tradition." Das erklärte Prinzip Biller: Draufhauen ja, aber gut begründet.

Wie sich das anfühlt, Jude zu sein in Deutschland, war in Billers Texten immer wieder Thema. "Der Holocaust ist in Deutschland Staatsdoktrin geworden", sagt er. Ihm ist das alles zu verordnet. "Für Kinder ist ein Besuch im KZ heute so obligatorisch wie eine Butterfahrt nach Helgoland." Dem Holocaust-Mahnmal prophezeite er schon mal eine neue Zukunft als Triumphbogen. Die tonangebenden Mitte-links-Intellektuellen würden um die toten Juden trauern, während sie sich gleichzeitig obsessiv an Israel abarbeiteten. Biller hält inne. "Sollen wir eine Pause machen, damit Sie bei all dem Gerede mal zum Essen kommen?" Zuvorkommend und freundlich, so kann er also auch.

Dann erzählt Maxim Biller, wie grandios er das Buch "Der jüdische Patient" des Comedians Oliver Polak findet. Schon dessen Bühnenprogramm "Ich darf das, ich bin Jude" mochte der Schriftsteller. Abgesehen von einem Witz, den er jetzt nacherzählt: "Machen wir einen Deal, wir Juden verzeihen euch den Holocaust und ihr uns Michel Friedman." Man muss trotzdem lachen, und Biller schaut ganz streng. Er saß bei Polak im Publikum, als dieser Gag kam, unter lauter Deutschen, die sich prächtig amüsierten. Diese Schadenfreude, das sei eigentlich kein jüdischer Humor.

"Ich würde mich freuen, wenn die Deutschen auch mal so von sich erzählen würden." Das zerbombte Berlin von 1945, eine Stadt gepflastert von Leichen - "dieses Massaker", meint er, müsse doch Auswirkungen auch auf die nächsten Generationen gehabt haben. "Dass West-Berlin eine so deprimierende Stadt war - es gab keine einzige hübsche Frau in West-Berlin! -, war doch kein Zufall."

Damit ist die Unterhaltung wieder bei "Biografie" angelangt, und bei den unkonventionellen Mitteln, mit denen Biller vom Trauma Holocaust erzählt. "Meine Hoffnung ist, dass das Buch Bewegung in das erstarrte Verhältnis bringen kann, das die Deutschen zu ihrer Vergangenheit haben." Fühlt er sich in Deutschland heute wohler als noch vor 20, 30 Jahren? "Man darf die Stadt, in der man wohnt, nicht mit Deutschland verwechseln", kontert er. Er mag das Leben in seinem Viertel, in Mitte und Prenzlauer Berg. Schon in Wedding oder Neukölln könnte die Sache anders aussehen.

Maxim Biller ist jetzt ein bisschen erschöpft. Er hatte das angekündigt, nach einer Stunde Gespräch verliere er an Konzentration. Er legt Messer und Gabel beiseite, greift nach seiner Jacke. Um die Ecke gibt es noch eines der alten Cafés, die schon da waren, als er damals nach Berlin kam. Beim Spaziergang dorthin erklärt Biller die Geschäfte entlang des Wegs und erzählt von seiner Tochter, die gerade Abitur gemacht hat. Sie hat lange um ihr iPhone kämpfen müssen. "Die iPhone-Abhängigkeit der Leute nervt mich, und es nervt mich, dass alle nur noch auf Sensationen reagieren." Wie er nun so über die Luxusprobleme jüngerer Leute plaudert ("Die haben heute viel mehr zu verlieren, ich besaß während meines Studiums nur zwei Pullover"), wirkt er ziemlich milde.

Wie kommt es, dass das Bild, das er hier abgibt, so wenig zu tun hat mit dem, was man von ihm zu wissen glaubt? Wo ist er hin, der Provokateur? Vielleicht ist es ja auch eine Bürde, immerzu das Image des scharfen Kritikers zu erfüllen. Dabei kann er doch auch ganz anders, viele seiner Erzählungen sind wunderbar lakonisch und sanft. "Für jeden Inhalt gibt es eine andere Musik." Also spielt er keine Rolle? "Nein", er wird jetzt ein bisschen lauter: "Ich spreche aus, was ich denke. Wenn ich mich beim ,Literarischen Quartett‘ aufrege, ist das echt. Meine Aufgabe ist es, mich da nicht zu kontrollieren."

Nicht so feige sein wie die anderen, das meint er wohl. Seit jeher haben die Deutschen in Billers Augen ein Problem mit dem Individualismus, und es werde schlimmer. "Alle sind so vorsichtig geworden." Dann muss Maxim Biller zurück an den Schreibtisch. Wahrscheinlich macht er einen so ausgeglichenen Eindruck, weil alles ganz gut läuft für ihn in diesen Tagen: verkaufte Bücher, Aufmerksamkeit, Debatte. Gegenwind. "Ich mag es nicht", sagt er zum Abschied, "wenn man zu lieb zu mir ist." So ähnlich hat das Marcel Reich-Ranicki auch mal formuliert.
Mag es drastisch. Mit seinem neuen Buch hat Maxim Biller, 55, eine weitere
Debatte angestoßen. Heute stellt er es vor. 


Fazit: Ein bei Weitem überschätztes Arschloch.

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