Montag, 4. April 2016

Der Tagesspiegel: Preußisch blond: Männergetränk Whisky? Von wegen! In der Uckermark destilliert eine Frau ihren eigenen Single Malt - hochgelobt, aber mit speziellem Charakter

In der Nähe von Schönermark bei Angermünde, neben einer schmalen Straße mit Blick auf Hügel und einen See, steht ein Gerstenfeld, mit rotem Mohn und blauen Disteln wogend im Wind. Der Sommerabend ist lau, die Frau stoppt ihren Dodge und watet hinein, atmet den Duft der Blüten, taucht in das Meer von Halmen, legt sich auf die noch sonnenwarme Erde, die Arme ausgebreitet, und nimmt den würzigen Duft wahr, die Melange aus sonniger Gerste, zarten Blüten, frischem Heu, feuchter Erde und dieser einzigartigen reinen Luft. Der Duft ist ihr so vertraut, fast kann sie ihn auf der Zunge schmecken.

Cornelia Bohn beschreibt die Szene auf ihrer Facebook-Seite, als wolle sie erklären, warum sie tun muss, was sie tut. Eine schwärmerische Hommage an ihre Heimat, die Uckermark, an die Böden, das gute Korn. Das Bad im Gerstenfeld könnte eine Filmszene sein, eine Fortsetzung des Imagevideos für Cornelia Bohns Produkt, versinnbildlicht durch eine Geschichte mit preußischen Offizieren, einem prächtigen schwarzen Friesenhengst, der scheut, sich losreißt und in wildem Galopp davonstiebt. Und einer Frau, die ihn zähmt und besänftigt. Welcher Stoff inspiriert zu solchen Bildern?

Das kann vielleicht nur einer Frau einfallen, den Schatz, den sie gehoben hat, mit filmreifen Szenen zu beschreiben, ein Manufakturprodukt, mit Hingabe destilliert im umgebauten Pferdestall, einer Brennerei von 1850. Lange war das die Erfüllung ihres Lebenstraumes: Sie, die Apothekerin, brennt einen der edelsten Schnäpse, "Preußischer Whisky" genannt. Ein Single Malt, den sie beschreibt wie den Friesenhengst aus dem Video, der auch ihr Logo ziert: stark, fair, sanftmütig und doch elegant. Kein Whisky für jeden Geschmack. Und doch ein Brandenburger Erfolgsprodukt.

Natürlich kommt ständig die Frage, warum ausgerechnet eine Frau Whisky brennt, das Getränk der Männer. Da - Film ab - sind wir schon wieder beim Kopfkino. Als Kind der DDR hat Cornelia Bohn sich nach der großen, weiten Welt gesehnt. In amerikanischen Filmen entdeckt sie als junge Frau ihre Helden: "gut aussehende Männer an der Bar, die die Welt retten". Und "Whiskey" trinken. Coolness vereint mit stillem Luxus. Der viel geliebte und für seine Stärke bewunderte Vater, ein Mann mit Sinn für Genuss, gibt den Ausschlag. Er vermittelt ihr, Whisky sei ein Kosmos, das komplexeste Getränk der Welt, Symbol für Stil und Unabhängigkeit. Verkostungen werden das Ritual der beiden, eine verschworene Vater-Tochter-Gemeinschaft.

Ihren ersten Schluck nimmt Cornelia Bohn in den 1980ern in Bulgarien. Schmeckt vor allem scharf, doch sie ist zufrieden. Das erste Mal im Leben hat sie das Getränk ihrer Sehnsucht probiert. Von ihrem Begrüßungsgeld kauft sie im KaDeWe Schmuck für die Mutter und eine Flasche Scotch für sich. Cornelia Bohn macht Ernst. Sie belegt einen Brenn-Lehrgang an der Uni Hohenheim, arbeitet in der Brennerei Gruel, einem Familienbetrieb im schwäbischen Owen, mit, reist zu Whiskymessen, lernt die Szene kennen. Als sie beschließt, nebenberuflich ihren eigenen Whisky zu machen, kommen zwei Leidenschaften zusammen: das Destillieren, denn das war ja lange das Privileg der Apotheker, und die Begeisterung für "ihr" Getränk. Doch erst im Sommer 2009 sollte es so weit sein.

Schlank, langbeinig in schmalen Hosen und hohen Stiefeln, das Haar streng am Hinterkopf zum Zopf gefasst, als komme sie gerade vom Ausritt: Die Frau, die Whisky brennt, wirkt aristokratisch wie preußischer Adel. "Ehrlich?", sagt sie, als erstaune sie das, und die Augen werden vor Lachen schmal. Nein, sie kommt doch vom Land, geboren in Weißenfels, Sachsen-Anhalt, 49 Jahre, ein Leben lang war sie in der Uckermark. Die alte, verfallende Kornbrennerei des preußischen Grafen von Redern hatte sie in Schönermark sofort entdeckt, schlich sich so gern in den maroden Gutshof. Als wäre klar, dass dies später mal ihr Platz sein würde.

Der Pferdestall, in dem ihr Unternehmen sitzt, hat zwei Weltkriege überstanden, 70 Zentimeter dicke Wände aus Feldsteinen, massive Stahlträger. Den musste sie haben. Den Erwerb 2008 brachte sie mithilfe ihres Ehemanns, eines Finanzberaters, unter Dach und Fach. Sie ließen das Gewölbe mit der preußischen Kappendecke freilegen, Schlamm und Müll beseitigen. Die Betonverschalung vor den Futterkrippen verschwand, das riesige Scheunentor wurde verglast, Zwischenwände gesetzt. Viel Arbeit, große Investitionen. Die Basis für ihren Traum. Der würde einige Jahre dauern. Drei Jahre und ein Tag Lagerung sind Voraussetzung für die Marktreife eines Whiskys. "Ich hatte nie Angst, dass was schiefläuft", sagt Bohn.

400 Quadratmeter Platz sind hier, verteilt auf sechs Räume. In einem der kleineren lagert das Malz, über Buchenholz geräuchertes und geröstetes Gerstenmalz. Es stapeln sich weiß-rote 25-Kilo- Säcke; Vorrat für sechs Wochen. Röstaromen hängen in der Luft, es riecht nach Räucherschinken. Sie wusste, welche kräftigen Malzsorten sie wollte für ihren Whisky. Der sollte nicht gefällig werden, sondern ordentlich Biss haben. Kein Mainstream-Produkt, sondern eines mit wiedererkennbarem Charakter. Kenner sollten sagen: "Das ist der Preuße."

Unterm Tonnengewölbe, wo früher die Pferde standen, glänzt riesig und kupfern die Brennanlage mit einer 550 Liter fassenden Brennblase, hergestellt am Bodensee und eigentlich gemacht für die Herstellung von Obstbränden. Die hat Cornelia Bohn sich mit Kalkül ausgesucht.

Sie legt das Ohr an den warmen Maischebottich. "Da drinnen hört man’s schäumen." In 70 Grad heißes Wasser kommt Schritt für Schritt frisch geschrotetes Malz, Flügel rühren die Masse stetig. Bei 60 Grad beginnen die Enzyme zu arbeiten; eine spezielle Hefe unterstützt das Malzaroma. Drei bis vier Tage, dann wird die Endstufe eingeleitet. Auch in der Brennblase hält ein Rührer die Maische in Bewegung. Die Feststoffe, die andere Hersteller herausfiltern, lässt Bohn mit vergären, wie beim Kornbrennverfahren.

Bei 92 Grad bildet die Maische erste alkoholische Dämpfe. Höherprozentiges trifft auf die Verstärkerkolonne: vier Kupferglocken für wiederholte Destillation. Stärkere Kühlung intensiviert den Alkohol. Die Temperatur steuert Bohn von außen. "Da darf man nicht mit Eile ran", sagt sie. Der Katalysator, eigentlich für Obstbrände entwickelt, macht das 85-prozentige Destillat am Ende weicher. Wann der Alkohol-Vorlauf abgetrennt werden kann, wann das giftige Methanol durch und das Destillat reif für den Mittellauf ist, sagt Bohn ihr gutes Näschen "sicherer als jeder Test". Gut zwei Stunden Brennprozess sind vorbei. Pro Liter Schüttung wird abgemessen, Kontrolle total. Ein Mal im Monat kommt der Zoll, misst Menge und Alkoholgehalt - der Steuern wegen. "Aber das ist auch meine Garantie, dass ich selber brenne", sagt Bohn. "Viele Hersteller kaufen ja Rohalkohol ein und geben den als eigenen aus ..."

Das Whisky-Zwischenprodukt wird mit enthärtetem Trinkwasser auf 65 Prozent verdünnt. Erst im Holzfass erhält Whisky seine Farbe; er nimmt die des Holzes an. 60 Fässer fasst das Lager im Gewölbe, amerikanische Eiche, deutsche Spessarteiche. Alle "stark getoastet", also behutsam von innen abgeflammt, bis das Holz "knusprig" ist. So wird die Holzschicht aktiviert, die dem Whisky sein charakteristisches Aroma verleiht. Es ist kühl hier. Cornelia Bohn holt den Hammer aus ihrem "Tussi-Werkzeugkoffer", um einen Fassstopfen loszuschlagen. Die Probe im Weinheber hat die goldene Farbe von hellem Stroh. In jedem Fass lagern 200 Liter; der Rest ist Luft, der Whisky will atmen. Wie viele Jahre er dort bleibt, wird sich zeigen. "Das sagt mir der Whisky. Es heißt ja nicht, je länger gelagert, desto besser." Wenn der Holzcharakter zu stark wird, ist Ende.

Vier Abfüllungen macht sie im Jahr, im Winter und Frühjahr je 800 Flaschen maximal, in den warmen Monaten nur ein Fass. Bis 2014 hat sie lediglich drei Jahre gelagerten Whisky verkaufen können. Seit vergangenem Jahr ist der Fünfjährige dran. Die Frühjahrsabfüllung Preußischer Whisky ist seit Mitte März im Handel, lange wird der Vorrat nicht halten. Die Winterabfüllung 2015 war schon im September ausverkauft.

Seit Bohn mit ihrem Preußen auf dem Markt ist, reißen sich die Händler darum. Feinkostläden, Hotels, Bars, neuerdings auch Manufactum. Die erste Abfüllung am 12. 12. 2012 hat sie als Fest aufgezogen. Es hatte geschneit, aber die Leute standen brav Schlange, während drinnen das Preußische Kammerorchester spielte. 1000 Flaschen waren für den Tag abgefüllt, am Ende waren alle weg. Der Tag sei wie eine Geburt gewesen, sagt sie: zu anstrengend, um schön zu sein. Mittlerweile ist der Whisky dieser Frau aus Brandenburg mehr als ein Geheimtipp.

"Du hast etwas geschaffen, was nicht nur dir schmeckt", erinnert sie sich in ruhigen Minuten zufrieden. Vielleicht gönnt sie sich dann ausnahmsweise einen Schluck ihres Whiskys aus einem kleinen Sherryglas. Fassstärke, unverdünnt. Zimmertemperatur. Erst mal schnuppern. "Neuerdings", sagt sie, "entdecke ich immer wieder neue Töne. Mal Kaffee und Schokolade, seltener Obst, im Abgang sehr nussige Aromen, Pfeffer oder Ingwer." Whisky ist für sie "die Quintessenz des Malzes, wie ein kostbares Parfüm". Sie trinkt und sagt dann: "Ich weiß alles über ihn, in welcher Zeit er gebrannt wurde, wie lange er im Lager ruhte, wie er mit der Natur gereift ist."

Ihr Ziel, sagt Cornelia Bohn, habe sie fast erreicht. "Ich mache, was mir Spaß bereitet, und ich habe Zeit dafür." Ihren Job in der Apotheke hat sie aufgegeben, nun hat sie alle Zeit - für den Preußen und die Familie. Ihr Wunsch? "Nach 20 Jahren noch die gleiche Qualität herzustellen." Dass es 2018 ihren ersten Bio-Whisky geben wird. Und, als zweites Projekt, ein eigener Korn, fassgelagert, aus 100 Prozent Gerste. Ein ungelegtes Ei. Aber das Label "Preußischer Korn" hat sie sich vorsichtshalber schon mal schützen lassen.

Vor-Ort-Verkauf an Tagen der offenen Tür. Termine: http://www.preussischerwhisky.de/.


Fazit: Brandenburgische Whisky-Domina

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