Sonntag, 3. April 2016

Berliner Zeitung: Das, was bleibt

Kahl. Und kühl unter meinen Füßen. Als ich nach drei Wochen Iran wieder in meiner Kreuzberger Wohnung ankomme, fällt mir vor allem auf, wie wenig Teppiche wir hier in Europa auf dem Boden haben. Vielleicht liegt in jedem Raum einer, wenn es hoch kommt. Aber mehr nicht. Ich vermisse es, mit meinen Füßen über die feingewebten persischen Teppiche zu gehen, die im Iran im Flur und im Wohnzimmer liegen, überall. Oft sieht man den Boden fast nicht mehr.  

  Ich nehme die türkischen Frauen, die in meiner Straße mit ihrem Hejab herumlaufen, anders war. Der Wind in meinen Haaren fühlt sich frisch an. Hier ist mehr Freiheit für mich. Aber die Familien halten irgendwie weniger zusammen. Abends bin ich wieder alleine, es scharen sich keine zehn Frauen um mich herum, wenn ich versuche, Tagebuch zu schreiben. Hier sitze ich nicht mit der ganzen Familie bis ein Uhr morgens zusammen und esse Früchte, trinke Tee und tausche mich mit den anderen aus. Hier bin ich hauptsächlich genau das: mehr "Ich", weniger "wir." 

  Ich denke an die vergangenen Wochen zurück. An die alte Residenzstadt Persepolis, mit ihren atemberaubenden Ruinen vor blauem Himmel, den eingekerbten Figuren der Achämeniden an der Wand. An die operierten Nasen in Teheran und die Farben des Bazaars. Und an Taarof, oft an Taarof. Das ist eine Art von ritualisierter Höflichkeit, die im Iran gang und gäbe ist, ja sogar Pflicht. Wenn ich im Taxi sitze und an meinem Ziel angekommen bin, teilt der Taxifahrer mir den Preis mit. Dann zücke ich meine Brieftasche und halte ihm das Geld hin. Eine abwinkende Geste, nein, er wolle das nicht. Das sei schon gut so. Ich muss noch ein bis zweimal darauf beharren, bis er das Geld annimmt. Unvorstellbar für uns, dass das gespielt ist, und Teil der sozialen Norm. Denn natürlich kann ich im Iran nicht gratis Taxi fahren oder Brot kaufen oder im Bazaar umsonst einen Kilim entgegennehmen. Klar muss ich zahlen. Und es wäre genauso unhöflich von dem Taxifahrer, erstmal nicht abzulehnen, als für mich, nicht zu zahlen. 

  Ich denke an Lavasan, das Tal der Ultrareichen, der Elite. Man stelle sich Beverly Hills im Iran vor. Weiße Villen mit Marmor-Eingängen und Glaskuppeln. Etwa 35 Kilometer von Teheran entfernt wohnt die Oberschicht, iranische Fußballer und Filmstars. Manche haben auch nur ihren Zweitwohnsitz hier. Die Straßen sind extrem sauber, allesamt videoüberwacht. Eine gute Pizza kann man aber dort essen, in Restaurants, die so westlich wie möglich sein wollen. Nur Alkohol gibt es nicht: lediglich erfrischende, alkoholfreie Mojitos. Die Luft ist rein, die Abgase von Teheran vergessen.  

  Ich wurde hierhin eingeladen. Vom Balkon einer der Villen sah ich die in der iranischen Literatur besungenen Alborz Berge im Norden, schwarze Schatten die in den tiefblauen Nachthimmel ragen. Hier in der Gegend ist auch der Mount Damavand, mit 5 600 Metern der höchste Berg im Nahen Osten, ein Vulkan. Die Villa im Aufbau will genauso hoch hinaus. Es wird industrielle Küchen geben, wenn Gäste kommen. An den Kuppeln des Hauses ist überall Goldblatt angebracht. Said, dem diese Villa gehört, ist der Mann einer Kusine meines Freundes. Er zeigt uns die goldenen Schwanenhälse, die als Wasserhähne fungieren werden. Das Wasser wird aus den Schnäbeln rinnen, die Flügel sind die Heiß-und Kaltregler. Klar, Iran hat eine ausgeprägte Mittelklasse. Aber so etwas? 

  Ich denke an den jungen Iraner, etwa 20 Jahre alt, der in den Staus in Teheran zwischen den Autos umherläuft und Weihrauch verbrennt, und dafür ein paar Toman haben will. Er war wahrscheinlich noch nie in Lavasan. Ich denke an die neuen Projekte, die Iran jetzt durch das Ende der Sanktionen erfahren wird. An die zufriedenen Unternehmer, die jetzt langsam Filialen im Iran eröffnen, den Markt dort erobern können. An die Hoffnung, die für viele Iraner damit verbunden ist, das Ende der Isolation. Und an die Scharen von Touristen, die in den nächsten Jahrzehnten in das Land strömen werden. Ich sage Khodafez Iran, bis zum nächsten Mal. Wenn die Kacheln hier zu kalt werden, komme ich zu deinen wunderbaren Teppichen.





Fazit: Für Trinker ist Iran kein Paradies.

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