Dienstag, 22. März 2016

Süddeutsche Zeitung: Das bisschen Regen. Wein wird immer früher reif - selbst in nassen Jahren

Im Frühherbst brauchen Winzer Nerven wie Drahtseile. Was machen die Oechsle-Grade? Wie schmecken die Trauben? Soll man bald lesen oder noch länger warten? Und vor allem: Hält das Wetter? Oder kommt der Regen, und mit ihm womöglich Pilzerkrankungen und am Ende eine schlechtere Ernte? Weinbau ist eine komplizierte Angelegenheit, das Wetter auch, beides zusammen ist eine Hölle der Unwägbarkeiten. Und nun kommt auch noch der Klimawandel hinzu.

Der hat die Dinge gründlich verändert. Nicht nur, dass Champagner-Hersteller anfangen, sogar in England Schaumwein anzubauen; auch in Frankreich sind alte Gewissheiten außer Kraft gesetzt. Das schließen Benjamin Cook von der Columbia University in New York und die Harvard-Forscherin Elisabeth Wolkovich aus Wetter- und Ernte-Daten, die bis ins Jahr 1600 zurückgehen (Nature Climate Change). Ihre Analyse zeigt: Früher verschob sich die Weinlese nach regnerischen Sommern meist nach hinten. War es warm und trocken, wurde früher geerntet. Doch das gilt offenbar nicht mehr: Seit den Achtzigerjahren hängt der Zeitpunkt der Weinlese demnach zwar von der Temperatur ab, hat aber nicht mehr viel mit Trockenheit zu tun. Das könnte auch den Wein verändern.

"Trockenstress verstärkt den Druck auf die Reben, die Trauben schneller reifen zu lassen", sagt Manfred Stoll, Weinbau-Professor an der Hochschule Geisenheim. Aber vor allem durch die wärmeren Winter habe sich sowohl in der Natur als auch im Weinbau tatsächlich ohnehin alles nach vorne verschoben; Austreiben, Blüte und Reife. Also werde grundsätzlich auch früher geerntet.

Nach den Daten von Cook und Wolkovich aus acht Weinbau-Gebieten in Frankreich und der Schweiz passiert das sogar deutlich früher: Im Schnitt waren die Trauben in den Jahren von 1981 bis 2007 volle zehn Tage eher eingebracht als in der Periode von 1600 bis 1900 - allerdings eine Zeit, in der es in Mitteleuropa teils ungewöhnlich kühl war, man spricht von der Kleinen Eiszeit. Und während einst besonders frühe Ernten meist mit starker Trockenheit zusammenfielen, war dies in den vergangenen Jahren kaum noch der Fall. Auch bei der Qualität fanden die Forscher einen Zusammenhang: Legt man die Bewertung des Weinkritikers Michael Broadbent von alten Jahrgängen aus den Gebieten Bordeaux und Burgund zugrunde, geht eine zeitigere Ernte mit besserem Wein einher. Früher habe jedoch auch Trockenheit einen guten Wein hervorgebracht, das gelte heute nicht mehr generell.

Das Jahr 2015 jedenfalls war bis August äußerst trocken; gelesen wurde früh. Ob das den Wein verbessert hat? 2015 könnte ein sehr guter Jahrgang werden - das behaupten zumindest die Winzer.


Fazit: Lecker Wein - ein Kollateralnutzen des Klimawandels.

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