Mittwoch, 16. März 2016

junge welt: Duner geht’s nicht. Heinz Strunk kriegt heute den Preis der Buchmesse (wenn die Kritikerjury bei Trost sein sollte)

Heinz Strunk hat ja ein Händchen für ultimative Ironie, das beweist schon sein Künstlername. Auf Bücher und CDs mit Titeln wie »Fleisch ist mein Gemüse«, »Sie nannten ihn Dreirad« oder »Die Zunge Europas« folgt nun »Der goldene Handschuh«, Strunks Opus magnum, wie der Autor selbst meint, ein Kiezroman. Sein Held ist Fritz Honka nachgebildet, der im Hamburg der 70er zum Frauenmörder wurde. Und Stammgast war in Strunks heutiger Lieblingskneipe »Zum Goldenen Handschuh«.
Hingebungsvoll zeichnet Strunk einen stinkenden Dunst mit Menschen drin, ein Panoptikum der Fertigen, unterteilt in Kreise der Trunkhölle. Wer nach »Sturzsuff« oder »Vernichtungstrinken« dun ist, gesellt sich zu den »Schimmligen« im Hinterzimmer. Bei der Musiktruhe sitzen die »Säberalmas«. »Die heißen so, weil sie ihren Speichelfluss nicht mehr unter Kontrolle haben.« Hinterm Tresen steht »Anus«. Es gibt Gäste, deren Doppelnamen einen gewissen Rang anzeigen: »Fanta-Rolf« oder »Soldaten-Norbert«, der den Abstieg vom SS- zum Müllmann nicht verwunden hat. Und dann ist da Fiete, ein Säufer um die 40 mit einem kümmerlichen Rest von Schalk im Nacken. Nach vielen Fanta-Korn (»Fako«, Verhältnis: 1:1) nimmt er verzweifelte, im Handschuh gestrandete Frauen mit heim.
Strunk taucht Leserin und Leser kopfüber in Fietes Gefühlsgemisch aus Geilheit, Liebeswunsch, Machtwille und Fürsorglichkeit. Fiete schämt sich für die Frauen, vielleicht, um sich wertvoller zu fühlen als sie. Fast folgerichtig quält er die von ihm Abgeschleppten, tötet und zerstückelt sie. Die Leichenteile versteckt er in der Wohnung. Den Verwesungsgestank erklärt Fiete Gästen mit der Knoblauch- und Hammelküche der Griechen im Erdgeschoss. Leichen im Keller, ich? Nein, die Ausländer sind schuld.
Durch Gewalt und Demütigung seelisch wie körperlich deformiert, ist Fiete zugleich armes Würstchen und Megalomane. Ihm liegt die herrschende Ellbogenmentalität mit ihrer Tendenz, Schwache und Fremde auszugrenzen. Ihr Opfer ist er als Alkoholiker und prekär Beschäftigter aber auch.
Parallel flicht Strunk Handlungsstränge um eine Reederdynastie ein, in der alle Wilhelm Heinrich heißen und Spitznamen führen wie Menschheitskatastrophen: WH 1, WH 2, WH 3. In ihren Villen sind sie ebenso hasszerfressen, misogyn, trunksüchtig oder entstellt wie Honka. Fast zügellos ist die Spiegelung. Natürlich kommt es zum Klassentreffen im Handschuh. Und wenn Soldaten-Norbert dort ist, »als hädde ich Säure im Hirn, Flammen anne Eier und Kacke im Mund«, freut sich WH 3, dass sein Lebensgefühl überhaupt mal in Worte gefasst wird, »würde es nur etwas anders ausdrücken«. Der gar nicht so wohlige Grusel vorm Lumpenproletariat hat im Bürgertum ja immer mal Konjunktur.
Die Geschichte könnte auch heute spielen. Gut, Jugendliche mit Uriah-Heep-T-Shirts gibt es nicht mehr. Aber gab es die jemals? Oder hat Strunk (53) die erfunden? Kaum verändert haben sich Gesetze und Mythen des Kiezes. Dito der Teufelskreis des »Nach-unten-Tretens«, bis es tiefer runter nicht geht. Ganz unten liegen welche, die haben gar nichts (»indischen Sand«), Frauen allesamt, im Grunde Unberührbare, ganz Mangel und Misere und so Sinnbilder dafür, was Fiete vorenthalten wird: geliebt zu werden. Immer und immer wieder legt er »Es geht eine Träne auf Reisen« von Salvatore Adamo auf, den Sound des erlösenden Glücks (das niemals kommt). Einen versonnen lächelnden Psychopathen stellt man sich dabei vor, besonders, wenn man sich das Lied mal wirklich anhört.
Die Frauen, die Fietes Opfer werden, sind für den Autor nicht leicht zu fassen. Die realen Vorbilder waren laut Wikipedia »Stadtstreicherinnen« und »Gelegenheitsprostituierte«, die »von niemandem vermisst« worden seien. Ob ihm das zupass kam oder nicht, Strunk hatte freie Hand bei ihrer Ausgestaltung. Eine einprägsame Figur ist die omahafte, sanftmütige Gerda, Honkas erstes Opfer. Ab dann wird es wahlloser bei Fiete und profilloser bei Strunk. Einiges wirkt unentschlossen; wieviel Gewicht und Stimme möchte er den Frauen geben? Da unterlaufen ihm dann Ausdrücke des Zauderns, Brüche im sonst sicheren Stil, Behelfsbilder wie »Gottes weite Welt« tauchen auf.
Verlass bleibt auf Strunks Stärken, etwa das betont Sentenzenhafte, erprobt auch in seiner Titanic-Kolumne »Intimschatulle«. So komisch wie beklemmend, sind diese Tagebucheinträge neben der »Humorkritik« und dem Cartoon von Katz und Goldt ein monatliches Magazinhighlight. Hier inszenierte oder offenbarte Strunk auch Selbstzweifel, die ihn beim Verfassen des »Handschuhs« überkamen. »Die leichten Mängel sind behoben«, schrieb er kurz vor der Drucklegung im Januar, »die schweren mitnichten«. Sie gehören bis auf weiteres dazu. Da geht’s dem Leben wie der Literatur.


Fazit: Lektüretipp


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