Freitag, 18. März 2016

firmenauto.de: Alkohol: Richter greifen härter durch

Ein Gläschen zum Feierabend und dann mit dem Dienstwagen nach Hause? Das sollte man sich künftig noch besser überlegen. Erst recht in Bayern und Baden-Württemberg. Bislang mussten Verkehrssünder in der Regel erst ab 1,6 Promille zum Idiotentest. Nun reicht schon deutlich weniger Alkohol im Blut. Seit Ende des letzten ­Jahres greifen die Gerichte in Baden-Württemberg und Bayern bereits ab 0,3 Promille härter durch.
Der Grund: "Nach Baden-Württemberg haben im November 2015 auch die Oberverwaltungsrichter in Bayern entschieden, dass schon eine einzige Alkoholfahrt reicht, damit die Behörde eine MPU anordnen kann", erläutert Marc Herzog, Fachanwalt für Verkehrs-, Versicherungs- und Strafrecht aus Rosenheim. Ab dieser Grenze ist der Führerscheinverlust möglich, wenn der Fahrer einen Unfall baut oder auffälliges Fahrverhalten zeigt.
In der Regel wird der Führerschein jedoch erst bei 1,1 Promille strafrechtlich kassiert. Damit folgt das bayrische Verwaltungsgericht den Verwaltungsrichtern in Baden-Württemberg. Allerdings lassen die Richter eine Revision des Urteils zu. Der Fall würde dann an das Bundesverwaltungsgericht gehen. Dennoch könnte das Urteil weitere Kreise ziehen: "Ich befürchte, weitere Gerichte in anderen Bundesländern werden diesen Entscheidungen folgen", sagt Herzog.

Altes Recht ausgehöhlt

Dabei war die Rechtslage bei Fahrten unter Alkohol bisher eigentlich klar: Wer zweimal alkoholisiert am Steuer erwischt wird, also zwischen 0,5 und unter 1,6 Promille, muss laut Fahrerlaubnisverordnung zur MPU. Zur Untersuchung müssen auch Fahrer, die ein einziges Mal mit mehr als 1,6 Promille auffallen.
Die veränderte Rechtsprechung könnte zu einem innerdeutschen MPU-­Tourismus führen. Verliert ein Dienst­wagenfahrer seinen Führerschein zum Beispiel in Stuttgart mit einem Blutalkoholwert von 1,1 Promille, müsste er zur MPU. Verlegt er aber seinen Wohnsitz nach ­Hessen, würde ihm diese Auflage erspart bleiben.
Daher versuchten die Experten des 54. Verkehrsgerichtstages (VGT) die Wogen zu glätten und plädierten für eine einheitliche Regelung. Sie befürworten eine MPU ab 1,1 Promille. Ihrer Meinung nach gebe es ab dieser Alkoholisierung ein hohes Rückfallrisiko. Das unterstreichen auch Autoclubs. "Wer sich 1,1 Promille antrinkt und mit diesem Pegel noch hinters Lenkrad setzt, muss sich grundsätzliche Fragen hinsichtlich der Fahreignung stellen lassen", meint der Verkehrsexperte Gert K. Schleichert vom ACE Auto Club Europa. Wissenschaftliche Studien zeigten, dass 97 Prozent der Ausfall­erscheinungen bereits bei einer Blutalkoholkonzentration von maximal 1,1 Promille auftreten. Der Gesetzgeber soll nun das Führerscheinrecht schnell ­ändern, ­damit Richter und Autofahrer wieder Rechtssicherheit haben. Das kann aber dauern.
Daher bleibt bis dahin jeder, der alkoholisiert am Steuer erwischt wird, vom Idiotentest bedroht. Das gilt auch für ­Fahrer, die weniger als 1,1 Promille haben. Ab dieser Zahl gehen die Richter von einer absoluten Fahruntüchtigkeit aus, das heißt, der Fahrer muss immer mit dem Entzug des Führerscheins und einer Sperre rechnen und künftig auch mit dem Idiotentest.
"Wer künftig nach der Sperre seinen Führerschein neu beantragt, der dürfte dann oft geschockt sein", so Herzog. Autofahrer müssen bis zu einer Gesetzesänderung weiter befürchten, dass bundeweit jede Führerscheinbehörde den Argumenten der Verwaltungsrichter in Baden-Württemberg und Bayern folgen könnte und nach einem Führerscheinentzug die MPU anordnet. Immerhin wird in der öffentlichen Diskussion oft ein härteres Vorgehen gegen Alkohol­täter gefordert, denn man geht davon aus, dass es viele gibt, die gar nicht erwischt werden.

Fachmännischen Rat suchen

Autofahrer, die nur wegen einer sehr geringen Alkoholisierung den Führerschein verloren haben, können aber hoffen, dass sie die MPU leichter bestehen als schwer Abhängige. Herzog: "Wer heute seinen Führerschein wegen Alkohol verliert, sollte sich aber auf jeden Fall schnell fachmännischen Rat suchen und sich schon einmal auf eine MPU einstellen." Das Problem: Ordnet die Behörde nach Ablauf der Sperre bei einer Neubeantragung des Führerscheins eine MPU an, gibt es dagegen keinerlei Rechtsmittel.
Das wird seit Jahren von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) kritisiert. Der betroffene Autofahrer muss daher die ihm gesetzte Frist einhalten, um mit ­einer positiven MPU die Bedenken der Be­hörde gegen seine Fahrtauglichkeit auszuräumen. In der Regel gilt hier nur ­eine Frist von einem Monat. Das ist eigentlich viel zu kurz, um sich auf die Fragen des Psychologen vorzubereiten.
Wer die Tester nicht überzeugt, dass er Alkohol und Autofahren künftig strikt trennen kann, erhält seinen Führerschein nicht mehr zurück. Dann ist Schluss mit lustig und in der Regel auch für das ­Privileg des Dienstwagens. Für viele Betroffene dürfte das den Jobverlust und wirtschaftlichen Ruin bedeuten.

Alkohol ist der häufigste Grund

94.819 Personen mussten sich laut der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) im Jahr 2013 im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) begutachten lassen. Rund 57 Prozent aller begutachteten Personen wurden als "geeignet" beurteilt, knapp 36 Prozent als "ungeeignet" und etwa sieben Prozent als "nachschulungsfähig".
Mit 47.418 Untersuchungen und damit über der Hälfte aller Begutachtungen war Alkoholauffälligkeit der häufigste Grund für die MPU. Grundsätzlich scheint die Sache mit der MPU ein Männer-spezifisches Problem zu sein: Der Frauenanteil liegt seit Jahren unter zehn Prozent

Bayern und Baden-Württemberg legen vor

Wer nach einer Trunkenheitsfahrt den Führerschein entzogen bekommt, muss in Baden-Württemberg und Bayern nach Ablauf der Fahrsperre mit der Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) rechnen. Diesen Freibrief haben die obersten Verwaltungsrichter in Mannheim und München jetzt den Behörden ausgestellt (VGH Bayern, München, Urteil vom 17.11.2015; Az.: 11 BV 14.2738; VGH Baden-Württemberg, Mannheim,  15. Januar 2015, Az.: 10 S 1748). Das Expertengremium des 54. Verkehrsgerichtstages in Goslar empfiehlt, eine medizinisch-psychologische Untersuchung bei Kraftfahrenden bereits ab einer Blutalkoholkonzentration von
1,1 Promille anzuordnen. Derzeit liegt der Grenzwert in den meisten Bundesländern bei 1,6 Promille.


Fazit: MPU greift auch bei geringem Alk im Blut.


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