Freitag, 22. April 2016

Frankfurter Rundschau: Deutsches, o deutsches Bier!



Bier, deutsches, reines, schönes, wahres Bier! Bier, Bier, Bier! Bier. Kühles, kühn gezapftes, weiß wie der Maid Schürzchen, bekröntes, trotzköpfiges deutsches Bier, Bier, Bier! Bier. Bier, deutsches Bier! Schwarz wie die Nacht und das Kleine und das Antlitz des Bergmanns das Köstritzer, rot (ungefähr) wie der Mohn und der Oktober und der Balken am oberen Rand des Fensters meines Textverarbeitungsprogramms („Fehler bei der Produktaktivierung“) das Alt, golden wie die Sterne und der Kopfschmuck der Könige und die Rolex des Rennfahrers a. D. Ralf Schumacher das Pils, das Pils, das Pils, jeder will’s. Das Weizen tut mich reizen. Ein schnelles Helles, Schnäpsken druff, holla der Wachmann, scheiß die Wand an, die Pferde gesattelt, aufi geht’s!

Ich kann mich an den ersten Schluck Bier meines Lebens so genau erinnern wie an das, was ich vor acht Sekunden gemacht habe, als ich „Ich kann mich an den ersten Schluck Bier meines Lebens so genau erinnern wie an das, was ich vor acht Sekunden gemacht habe“ getippt habe.
Mein Großvater stammte aus kleinstbäuerlichen Verhältnissen. Er war ein einfacher Gemeindearbeiter, ein Freund und Beschützer der Vögel und ein Melancholiker. Ich liebte ihn, diesen sanften Menschen, der, vermute ich, wusste, dass irgendwie nix richtig ist, obwohl er weder Samuel Beckett noch Thomas Bernhard hatte kennen können, er hatte ja nur die Volksschule besuchen dürfen.

Vor etwa vierzig Jahren war’s. Ich begleitete den Gerch, den Georg, hinaus zum schmalen, keilförmigen Garten an der Schlauersbacher Straße. Irgendwann bat er mich, beim Krämer nebenan zwei Flascherl Bier zu kaufen. Als ich ihm die bauchigen Buddeln reichte, nahm er sie in seine großen, gefurchten Hände, stellte die eine vorsichtig im Kartoffelbeet ab, und von der anderen rupfte er dann mit einem rostigen Flaschenöffner, den ich bis heute aufbewahre, den Kronkorken herunter.

„Moagst aan Schluck?“, fragte er mich.

Nichts hat mir jemals mehr eingeleuchtet als das sacht tatzelnde, Zunge und Gaumen illuminierende Bittere. Nichts. Nicht mal der wahrscheinlich großartigste philosophische Text, der jemals geschrieben wurde – „Sur l’eau“ von Adorno –, entfaltet eine solche Welterschließungskraft wie die Erinnerung an den ersten Schluck Bier von der Hauff-Bräu im mittelfränkischen Lichtenau.

Bier, deutsches Bier. „Bier, Bier, Bier, wie es auch komme!“ jaulte der Franke Jean Paul seinen Bierspediteur, den Fuhrmann Zapf (kein Scherz!), brieflich an und verbat sich, englische Bräus geliefert zu bekommen.

Jean Paul huldigte dem Bier als dem Edlen schlechthin, als einem inkomparabel schmackhaften und situativ variablen Durstlöscher und Rauscherzeuger. Dabei legte er vor allem Wert auf eine quantitativ zufriedenstellende Zufuhr, ohne allerdings gewisse Gourmetkriterien außer acht zu lassen. „Das Bier macht mich noch schwanken – in der Wahl nämlich“, gestand er mal – und langte dann so oder so kraftvoll zu.

Möglich, dass ich damals ein Exportbier gekostet habe, das auch dem großen Poeten aus Wunsiedel gemundet hätte. Pils war in den Siebzigern in Franken kaum verbreitet. Die Gebrauchs-, die Normalbiere waren die Hellen, und sie „hatten ungefähr 12,8 Prozent Stammwürze, hatten aber auch 36 Bittereinheiten, mehr als die Pilsbiere heute. Das waren wunderbare, sehr elegante Biere“, wie der hochrenommierte Brauwissenschaftler Ludwig Narziß jüngst erläuterte und dabei zu Recht monierte, dass die heutige Jugend bitteres Bier auf Grund der Konsumpräferenzen, die man ihr eingetrichtert hat, nicht mehr schätzt. Deshalb greifen die Racker und Gören zu solch sensorischen Grobbeleidigungen wie Beck’s Gold, Warsteiner, Heineken, Corona und anderen Starkfrechheiten aus multinationalen Brühküchen.

Mag sein, dass das Schlimmste am heutigen deutschen (Massen-)Bier der deutsche Biertrinker ist, der sich den vor Ödnis ächzenden Ramsch vorsetzen lässt. „Der betrunkene Russe ist vielleicht gemeiner als der betrunkene Deutsche, doch ist dieser zweifellos dümmer und komischer als der Russe“, notierte Dostojewski in seinem Tagebuch – und: „Die Deutschen sind ein vornehmlich selbstzufriedenes, auf sich stolzes Volk. Im betrunkenen Deutschen pflegen nun diese Grundzüge des Volkscharakters an Ausgeprägtheit proportional dem Quantum des getrunkenen Bieres zuzunehmen.“

Was für die leitenden Herren des gar zu hehren, 1871 unter Bismarck gegründeten Deutschen Brauer-Bundes nicht minder gilt. Ihr hoffärtiges PR-Gemopse anlässlich des fünfhundertsten Jubiläums des sogenannten und ewig herumgereichten Reinheitsgebotes, das nichts anderes als „ein totaler Scheißschwindel“ (Dustin Hoffman als Filmproduzent Stanley Motss in ,Wag The Dog‘) ist, übertrifft noch die Sprücheklopfereien unserer Polit- und Sportgranden. Die schlichte Wahrheit: Das Einheitsgebot war ein Getreideschutzgesetz und eine – bis heute wirksame – marktprotektionistische Maßnahme im Zuge eines sehr frühen „deutschen Bierimperialismus“ (bierkrawall.de). Von Zuchthefen steht nix drin, Gewürzbiere wurden weiterhin gebraut, Weizenbier hingegen dürfte es nicht geben, über die chemische Wasseraufbereitung, die Filtration mit Kieselstoffen und Plastikpartikeln und sonstige Pfuschereien reden wir lieber gar nicht. Dafür dreschen die mit dem Brauer-Bund verbandelten Behörden nur zu gern auf autonome Brauer ein, die es wagen, Bier in die Welt zu wuchten, das die Monopolisten alt aussehen lässt.

Im übrigen gibt es, strenggenommen, kein deutsches Bier. Es gibt Bier der Brauerei A und Bier der Brauerei Y, Bier aus der Fränkischen Schweiz und Bier aus Schleswig-Holstein, es gibt galaktisches Bier, sehr gutes Bier, gutes Bier, hundsschlechtes Bier und Bier, mit dem man nicht mal mit der Pipette in Berührung kommen wollte.

Und es gibt einen deutschen Dichter, der wahrlich überhaupt nichts von Bier, von deutschem oder anderem, verstand: Goethe. Vollkommen ahnungslos war der Frankfurter Grünschnabel und Vielschnabler, bei Gambrinus! Und seine Farbenlehre war ja obendrein grober Kappes. Das wiederum wusste: der Wahlfrankfurter Schopenhauer. Der mutmaßlich Äppler oder Mainwasser soff – was auf dasselbe hinausgelaufen wäre.


Fazit: Beim Bier hegt der Deutsche imperiale Gelüste.

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