Donnerstag, 21. April 2016

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Stationen: Das Brauhaus “Zum Löwen“ in Mühlhausen: Sieben Bier sind eine Mahlzeit

Es ist nicht verkehrt, einen ausgedehnten Spaziergang durch Mühlhausen zu unternehmen, bevor man sich im Gasthof “Brauhaus zum Löwen“ einrichtet. Es ist ein bezauberndes Städtchen, eng umgrenzt von einer Stadtmauer samt Wehrgang, durchzogen von schmalen Gassen und Kanälen, von Fachwerkhäusen gesäumt, und doch öffnen sich immer wieder überraschend Plätze, aus denen sich riesige Kirchen erheben, die Marienkirche etwa, ein Meisterwerk der Gotik, von deren Kanzel herunter der Revolutionsführer Thomas Müntzer seine Predigten hielt; die Divi-Blasii-Kirche, an deren Orgel Johann Sebastian Bach ein Jahr lang die Gottesdienste begleitet hat; oder die Kornmarktkirche, heute eingerichtet als Bauernkriegsmuseum. Dazwischen Cafés und kleine Läden, eine breite Fußgängerzone und ein mittelalterliches Rathaus, das jungen Mädchen aus den Zeitreisefilmen “Rubinrot“ und “Saphirblau“ der Edelstein-Trilogie bekannt ist. Dass überhaupt der ganze Ort als Kulisse für Historienfilme taugt, hat Mühlhausen der V1- und V2-Raketenproduktion in der Nachbargemeinde Nordhausen zu verdanken. Dort ließen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die alliierten Luftstreitkräfte mehr Bomben fallen als irgendwo sonst im Umkreis. “Da war für uns nichts mehr übrig“, sagt Marco Fongern, der von hier stammt. Glück gehabt.

Marco Fongern ist Herr über den Gasthof “Brauhaus zum Löwen“, ein Ensemble aus neuen Gebäuden, um einen Platz und einen überdachten Hof herum, historisches Gemäuer, denkt man,  und wunderte sich nicht, wenn sich Familienbesitz bis in die Zeit der Reformation nachweisen ließe. Aber so ist es nicht. Hotel und Gaststätte samt eigener Brauerei gehen zurück auf eine Gründung aus dem Jahr 1992. Seither wird an- und ausgebaut, und jedes Mal wirkt das Ganze noch ein wenig älter, bis zum Rittersaal, der im Keller eingerichtet ist.

Erhalten sind Spuren der Löwen-Apotheke aus dem späten18. Jahrhundert sowie eines pharmazeutischen Labors aus den Zeiten der DDR. An das eine erinnert eine Wand mit dunklen Schubladenschränken unmittelbar hinter dem Stammtisch, an das andere der Dampf über den polierten Kesseln in einer Nische des Lokals. Er steigt auf, wenn Bernd Heinz, der Brauer im Brauhaus, beim Ansetzen der Maische Malz nachschüttet. Dann duftet es im Gastraum so verführerisch, dass man ihn nie wieder verlassen möchte und froh darüber ist, den Spaziergang hinter sich zu haben. “Das ist Medizin“, sagt Bernd Heinz. “Und mag Bier auch nicht bedingungslos gesund sein, die Hefe ist es allemal.“

Marco Heinz ist zugleich Forscher, Botschafter der Braukultur und eine wandelnde Bier-Enzyklopädie. Das bestellte Bier steht noch nicht auf dem Tisch, da hat er bereits erklärt, weshalb die Flockenbildung durch unvermälzte Futtergerste im Bier der DDR die Menschen hier für immer unempfänglich für trübes Kellerbier gemacht hat. Und schon steht sein Helles auf dem Tisch. “Ungefiltert“, sagt Bernd Heinz, “im Ernst.“ Dabei ist es so klar wie Kristall und steahlt so hell wie Gold. “Am Tag der Deutschen Einheit“, sagt er, “schenken wir es gemeinsam mit dem Apotheker Dunkel und einem Brombeerbier aus.“ So zaubert Bernd Heinz die Nationalflagge auf die Theke. Und wenn junge Mädchen zu seiner Klientel gehörten, fielen ihm sicher auch Wege ein, rubinrotes und saphirblaues Bier zu brauen. Immerhin: “Kupfer“ gibt es bereits, Bier in der Farbe der Kessel. Dafür braucht es sechs verschiedene Malzsorten, außerdem ist es stärker gehopft. Für mehr als ein Dutzend Sorten hat Bernd Heinz Bierrezepte erdacht.

Leider gibt es nicht jede Sorte zu jeder Zeit. Sein Pflaumenbier zum Beispiel schenkt er nur an Pfingsten aus. “Mittlerweile sind in drei Tagen tausend Liter weg.“ Das liegt nicht zuletzt an seiner Geduld und beherzten Pädagogik. “Denn die Freude am Experiment“, sagt er, “ist nicht jedem Gast angeboren.“ Wir sind jetzt beim Schwarzbier angelangt, dunkel wie die Nacht, des Rölstmalzes owegen und haben die Probiergläschen gegen Krüge eingetauscht. Marco Fongerns Vorschläge für den nächsten Tag rücken damit in immer weitere Ferne - Baumkronenpfad, Wildkatzendorf, Vogelschutzwarte und die Gärten von Bad Langensalza. Lieber noch ein Bier. “Sieben Bier sind eine Mahlzeit“, hat Bernd Heinz gesagt. “Und da hat man noch nicht einmal was getrunken.“ Ich bestelle trotzdem das Braumeister Steak mit herzhafter Sauce, in die der halbe Gemüsegarten Eingang gefunden hat, abgelöscht mit Malzbier. “Ohne Schnickschnack“, nennt das Marco Fongern. Ein letztes Helles. Und ein allerletztes. Dann ins Bett. Es ist nur die Stiege hinauf. Mir kippen die Wände entgegen. Erst am nächsten Morgen, als das noch immer so ist, begreife ich, dass es am Alter des Hauses liegt.

“Brauhaus zum Löwen“, Felchtaer Straße 2-4, 99974 Mühlhausen, Tel.: 03 60 1 / 74 10. E-Mail: info@brauhaus-zum-loewen.de. Übernachtung mit Frühstück ab 91 Euro für zwei Personen. Am 23. April veranstaltet das Haus ein Bierfest mit eigenen Kreationen auf dem Platz des Kornmarkts.


Fazit: Die alte Tante F.A.Z. auf Zechtour.

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