Nicht schon wieder", schoss es Martin Wohlrabe durch den Kopf, als er vom überraschenden Tod des Jazzsängers Roger Cicero bei Twitter erfuhr. Erst sechs Tage zuvor hatte den Berliner Anwalt die Nachricht vom Ableben Guido Westerwelles bewegt: "Beide Schicksale, so verschieden sie sind, gehen mir nahe." Wohlrabe war eine Zeit lang Nachbar des damaligen deutschen Außenministers in Berlin-Charlottenburg, der Mitte März mit nur 54 Jahren seiner Krebserkrankung erlag. "Und das Alter, in dem Roger Cicero verstarb, gibt einem wirklich zu denken." Der bekannte Musiker, der Deutschland 2007 beim Eurovision Songcontest vertreten hatte, war nur 45 Jahre alt geworden, bevor ihn ein tödlicher Gehirnschlag traf. Der Sänger hatte im November wegen eines akuten Erschöpfungssyndroms mit Verdacht auf Herzmuskelentzündung seine Konzerttermine abgesagt. Trotzdem hatte er TV-Auftritte absolviert und Interviews gegeben.
So wurde der Künstler gerade mal 14 Jahre älter als Martin Wohlrabe, der mit einem Anwaltskollegen im vergangenen Jahr eine Agentur für Rechtskommunikation gegründet hat. Wohlrabe: "Man fühlt sich jung und erlebt dann diese Todesfälle von Menschen, die selbst nicht alt waren. Das macht betroffen."
Vielen geht es so wie dem Berliner Jurist. Sie haben den Eindruck, als häuften sich die frühen Todesfälle unter Prominenten aus Politik, Kultur und Wirtschaft, die sich beruflich stark engagieren. Von Menschen, die voller Energie und Schaffenskraft schienen.
Das kollektive Entsetzen begann vergangenen Sommer mit dem plötzlichen Tod des jungen CDU-Abgeordneten Philipp Mißfelder, der im Alter von 35 Jahren die Treppe hinunterstürzte und daraufhin eine tödliche Lungenembolie erlitt. Gerade rückt dieser Fall wieder in den Fokus, denn er zieht jetzt offenbar eine juristische Auseinandersetzung nach sich. Die Eltern des verstorbenen außenpolitischen Sprechers der CDU CSU-Fraktion verklagen das Uniklinikum Münster, das ihren Sohn vor seinem Tod behandelt hat. Seine Witwe Ann-Christin, Mutter von Mißfelders drei Kindern und selbst Ärztin, stellt sich dagegen.
Betroffen reagierten Fans und Medien aber auch auf das Ableben des Schriftstellers und früheren TV-Moderators Roger Willemsen mit 60 Jahren. Der Grimme-Preisträger und Kolumnist verstarb am 8. Februar 2016 an Krebs.
Auch der Tod von Stararchitektin Zaha Hadid mit 65 wirkt wie deutlich vor der Zeit - bedenkt man, dass Frauen hierzulande im Durchschnitt 82 Jahre alt werden, etwa drei Jahre älter als der Durchschnittsmann. Die gebürtige Irakerin mit britischem Pass, die ihre Karriere in Deutschland begann und als erste Frau 2004 die bedeutendste Ehrung in der Architektur, den Pritzker-Architektur-Preis, gewann, verstarb plötzlich nach einer Bronchitis an Herzversagen.
Einem Infarkt war 2014 auch schon Frank Schirrmacher, renommierter Buchautor und Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", überraschend mit 54 Jahren erlegen.
So mancher Manager um die 50 denkt da: "So schnell kann es gehen." Und fragt sich selbst insgeheim: "Hab ich eigentlich immer nur gearbeitet, das Haus abbezahlt und Geld zurückgelegt - schließlich müssen ja die Kinder noch studieren - und hab ich darüber womöglich vergessen, richtig zu leben und alles Wichtige auf später verschoben?"
Arndt Papenfuß gehört zu den wenigen Führungskräften, die solche Fragen offen beantworten. Der klassische Vertreter der deutschen Managerriege - BWL-Diplom der Uni Münster, Laufbahn im Marketing und Vertrieb des Henkel-Konzerns inklusive Auslandsstation, ist heute Marketing-Leiter bei Sanitärhersteller Kaldewei im münsterländischen Ahlen. Seine Frau und sein Sohn leben im Rheinland. Für den 49-Jährigen ist es selbstverständlich, einen Zweitwohnsitz zu haben, über 100 Kilometer zu pendeln und sich dazwischen uneingeschränkt der Firma zu widmen.
Spontan Freunde zu treffen, bei der Familie zu sein oder Hobbys nachzugehen wie den Ausfahrten mit seinem italienischen Oldtimer, ist da nur selten möglich. Dennoch ist der Diplomkaufmann zufrieden und von Grund auf optimistisch: "Einen großen, unerfüllten Traum wie manch anderer, der vielleicht die Welt umsegeln möchte, hab ich nicht. Von allem anderen denke ich: ,Das schaff ich noch locker.'" Etwa zu erleben, welchen beruflichen Weg sein Sohn einschlagen wird. Der ist jetzt 16 und auf dem Weg zum Abitur.
Die Statistik zumindest gibt Managern Entwarnung. Die vermeintliche Häufung von Todesfällen, bei denen man automatisch denkt "oh Gott, viel zu jung", ist demnach ein Trugschluss. Seit 1994 sind pro Jahr rund 47 000 Männer im Alter zwischen 45 und 60 gestorben - wobei die Zahl der 45- bis 50-Jährigen leicht rückläufig war.
"Selektive Wahrnehmung" nennen Psychologen das Phänomen: Und meinen damit die Tatsache, dass wir manchmal nur bestimmte Aspekte wahrnehmen, andere dagegen ausblenden. Denn unser Gehirn sucht - meist unbewusst - nach einem bestimmten Muster. Das führt zum Beispiel dazu, dass Autobesitzern unterwegs sofort alle Wagen des Modells auffallen, das sie selbst fahren.
Die große Betroffenheit über die Einzelschicksale von Westerwelle, Cicero und Mißfelder hat aber gesellschaftlich gesehen ihr Gutes. Sie schafft ein Bewusstsein dafür, dass die Art, wie wir leben und arbeiten, manchen an sein körperliches und seelisches Limit treibt. Und dient so manchem Leistungsträger, der regelmäßig über die Grenzen der Belastbarkeit hinausgeht, als Weckruf. Denn sie führt Managern die eigene Endlichkeit vor Augen. "Die Bereitschaft, sich selbst und seinen Lebensstil zu hinterfragen, wächst dadurch", sagt Bastian Willenborg, Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie und Chefarzt der Oberbergklinik in Berlin. In der Privatklinik lassen sich vorwiegend Manager behandeln, die an Burn-out und Suchterkrankungen leiden. In den vergangenen Wochen stieg die Zahl der Anmeldungen für ein Vorgespräch, berichtet der Mediziner.
Damit wollen überlastete Führungskräfte, die unter stressbedingten Symptomen leiden (siehe rechts) sich über Therapiemöglichkeiten informieren. Zuletzt ließ sich eine ähnlich erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema Burn-out 2009 beobachten, als der beliebte Fußball-Nationaltorwart Robert Enke Selbstmord beging, indem er sich vor einen Zug warf. Der 32-Jährige war zuvor mehrfach wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung gewesen, sah aber keinen anderen Ausweg mehr für sich aus der Spirale aus Leistungsdruck, Antriebslosigkeit und Versagensangst.
Denn auch wenn es noch keine wirklich aussagekräftigen Statistiken gibt, so schlagen Mediziner durchaus Alarm. So wie Philip Catalá-Lehnen, Ärztlicher Direktor des Hamburger Zentrums für Sport- und Regenerationsmedizin des Lanserhofs. Diese Klinik hat sich auf Managergesundheit spezialisiert und führt pro Jahr rund 400 Check-ups durch. Catalá-Lehnen sagt: "Unter den Managern wird die bisherige Risikogruppe der 50- bis 60-Jährigen von der Risikogruppe der 40- bis 50-Jährigen abgelöst." Die Intensität der Belastung ist schon für jüngere Semester deutlich gestiegen: Jederzeit erreichbar zu sein, die insgesamt hohe Schlagzahl und permanenter Leistungsdruck erzeugten einen extrem hohen Stresslevel.
Gleichzeitig fehle es an Entspannung. Magengeschwüre, Darmerkrankungen und psychische Erkrankungen nehmen seiner Einschätzung nach in den 40ern deutlich zu. "Wer ab dem 30. Lebensjahr immer nur beruflich Vollgas gegeben hat, merkt spätestens Mitte 40, dass es so die nächsten Jahrzehnte nicht weitergehen kann. Dafür reichen unsere Kräfte nicht." Das allerdings wollen erfolgreiche Manager nur ungern hören. Catalá-Lehnen: "Der Tod ist für sie immer noch ganz weit weg. Viele fühlen sich unverwundbar. Und Schwäche zu zeigen ist tabu."
/// GESUNDHEIT // .
/// Warnsignale nicht ignorieren // .
Den regelmäßigen Gesundheitscheck scheuen viele Manager, oder sie nehmen sich in der Hektik des Alltags nicht die Zeit dafür. Noch nicht einmal, wenn die Zeichen schon mehr als deutlich sind, dass etwas mit Körper und Seele nicht stimmt.
Zu den typischen stressbedingten Symptomen, mit denen der Körper reagiert, gehören zum Beispiel ein Tinnitus genannter unangenehmer Dauerton im Ohr, häufig gepaart mit Schwindelgefühl. Ebenfalls ernstgenommen werden sollten Magen- und Verdauungsprobleme sowie Schmerzen in der Brust.
Ganz wichtige Warnsignale in Sachen Überlastung sind außerdem Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und Stimmungsschwankungen.
"Spüren Sie diese Symptome, ist es fünf vor zwölf. Kommen noch Angstgefühle hinzu, bewältigen Sie den Tag nur noch mit Tabletten oder Alkohol oder schaffen Sie es gar nicht mehr ins Büro, muss gehandelt werden", sagt Bastian Willenborg. Er ist Chefarzt der Oberbergklinik Berlin. Denn "ein Burn-out-Syndrom ist der erste Schritt zu einer schweren psychischen Erkrankung wie Depression oder Sucht und ein deutlicher Risikofaktor für sehr leistungsorientierte Menschen wie Manager. Das sollte unbedingt behandelt werden", sagt der Berliner Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.
Speziell jüngere Führungskräfte sollten sich nicht in trügerischer Sicherheit wiegen und denken "ach, das geht schon wieder von allein weg".
Denn ein Mediziner aus Taiwan hat herausgefunden, dass sich das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, besonders für junge Menschen unter 45 Jahren verdoppelt, wenn sie an Depressionen leiden. Egal ob nun Manager unter oder über 50, insgesamt breiten sich Erkrankungen aus, die das Herz- und Gefäßsystem betreffen. Daher rät auch Philip Catalá-Lehnen, Chefarzt der auf Manager-Gesundheit spezialisierten Lanserhof-Filiale in Hamburg: "Wer über Wochen das Gefühl hat, nicht in Topform zu sein, der sollte unruhig werden und einen Termin machen, um abzuklären, was los ist."
Fazit: Der Cocktail aus Depression und Sucht führt in den Abgrund.
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